Montag, 4. Juni 2012

splitterfasernackt

Warum ich dieses Buch ausgewählt habe? Ich habe kaum (eigentlich keine...) Biografien zu Hause und um ehrlich zu sein, hat mich das Schicksal berührt, als ich den Buchrücken näher inspiziert habe.

Mich hat es auch ein wenig Wunder genommen, wie andere Menschen ihr Leben beschreiben, welche Worte sie in den Mund nehmen und wie sie mit solchen Einschnitten im eigenen Leben umgehen. Vor allem geht es auch hier um ein Schicksal, welches sich diese junge Frau nicht selbst und freiwillig ausgewählt hat.

So verschieden unsere Starts ins Leben waren, so sehr konnte ich ihr irgendwie nachfühlen. Auch ich fühle mich bestraft und mit einer Lebensaufgabe beauftragt, die für mich einfach keinen Sinn macht.

Zuerst jedoch zu meiner Rezension.

Zum Klappentext (aussen):

"Wenn ich Sex auf dem goldenen Himmelbett im Zimmer vier habe, starre ich verloren den orange-gelben Leuchtschlauch an. Ich fühle einen Körper auf mir - gut, wenn er nicht verschwitzt und klebrig ist. Schlecht, wenn er es doch ist. Ich schlinge meine verzweifelten Arme um einen Kunden, wenn ich ihn mag. Ich lasse meine Arme schlaff auf dem Bettlaken verweilen, wenn ich ihn nicht mag. Ein unbedeutendes stöhnen an meinem Ohr, eine Wange ganz dicht an meiner. Wenn ich meinen Gast nett finde, ist es okay, wenn nicht, bin ich woanders. Den schlimmsten Sex im Leben kann man nur einmal haben. Und ich habe ihn längst hinter mir. Damals..."

Die Geschichte einer gestohlenen Kindheit und eines im Innersten verletzten Mädchens.

Zum Klappentext (innen):

Lilly Lindner ist sechs Jahre alt, als sie vergewaltigt wird. Sie schweigt - im Nachhall der Gewalt. Der Mann zieht eines Tages weg, doch Lillys Leben ist längst aus dem Lot. Und so beschliesst sie zu hungern - damit von ihrem geschundenen Körper möglichst wenig übrig bleibt. Sie nennt sich Ana und vergisst, dass sie ein Recht auf ihren eigenen Namen hat. Mit siebzehn Jahren zieht Lilly in eine eigene Wohnung, doch ihr Leben ist noch immer ein Trümmerhaufen. Schliesslich beginnt sie, in einem Berliner Edelbordell zu arbeiten, denn ihr Körper, so denkt sie, gehört schon lange nicht mehr ihr, warum nicht wenigstens damit Geld verdienen?

Die zarte junge Frau, die wortgewandt, intelligent und sensibel zugleich ist, wird eine begehrte Prostituierte. Umgeben vom roten Licht verfasst sie eine provozierendes Buch von ungeheurer sprachlicher Wucht.

Meine Meinung:

Mir war irgendwie von Anfang an bewusst, worauf ich mich einlasse und das es viel Kraft benötigen wird, dieses Buch zu lesen. Es hat viel mit Triggern und Carving zu tun. Mir ging es sonst schon schlecht, also wollte ich mich noch tiefer hinein manövrieren.

Anderen würde ich dieses Buch nicht empfehlen, wenn sie sich tief in einem Loch befinden. Aber wem soll ich das erzählen, der so eingestellt ist und fühlt, wie ich? Der hört nicht auf diese Stimme und möchte erst recht Schmerz und Leid empfinden.

Dann empfindet man nämlich mindestens etwas.

Aber soll nicht das Thema sein. Mich hat das Schicksal dieser jungen Frau wirklich berührt und doch schäme ich mich zu sagen, dass es irgendwie untergeht und, so sehr ich viele Gedanken von ihr verstehen kann, den Gang zur Prostitution doch falsch empfinde. Ich habe dafür echt kein Verständnis, auf der anderen Seite bewundere ich Frauen, die dies durchziehen können.

Es soll ja nicht falsch klingen!

Ich finde es krass, wie schnell man das Leben eines Kindes bewusst und bzw. oder unbewusst zerstören kann. Ich verachte Menschen, die andere Menschen (vor allem betroffen sind dabei wehrlose Kinder und Teenager) missbrauchen, vergewaltigen und schlagen. Ich bin froh, musste ich eine solche Sache nicht durchmachen und bin weiterhin überzeugt, dass eine Vergewaltigung unter anderem etwas vom Schlimmsten ist, was einer Frau oder einem Mann widerfahren kann.

Lilly Lindner geht gleich zwei Mal durch diese Hölle. Über das letzte Erlebnis wird jedoch lange geschwiegen und drum herum geredet. Gegen Ende wusste ich nicht, wie sie die Seiten füllen würde. Es war ein Kracher, der mir den Boden von den Füssen gezogen hat.

Und das in der heutigen Zeit!

Das Buch ist ein harter Brocken, viele Sätze scheinen einem zusammenhangslos und schwer. Es braucht teilweise viel Mut und Kraft, weiter zu lesen.

Und doch blieb ich dran.

Irgendwie gab es Worte, die mir genau aus der Seele zu springen schienen. Man fühlt sich verstanden und nicht allein und es gibt ein weiterer Mensch, der weisst, warum man Dinge tut, die man eben tut, obwohl man sie nicht machen sollte. Ich kann ihr oft nachfühlen und kenne diesen Strudel aus Hoffnung, Kraft, Anstrengung, Wille, Wut, Fall und Zerwürfnis.

Ohnmacht wird immer wieder deutlich und spürbar rüber gebracht. Sei es körperlicher wie auch psychischer Natur.

Eine weitere, intelligente und überaus schlaue Frau, die nichts für ihr Leben und dessen Wandel kann. Sie wurde als schutzbedürftiges Wesen einer unschuldigen Seele beraubt.

Und doch.... Ich weiss nicht, wie ich es sagen soll... Irgendetwas fehlte mir. Es ging mir zu viel um Sex, dafür, dass es um ein missbrauchtes Kind ging. Sie schreibt so "normal" darüber, dass ich teilweise erschrocken bin. Aber vielleicht ist genau das, was Lilly damit rüberbringen wollte. Vielleicht gehen wir Menschen zu stark davon aus, dass Missbrauchopfer ein gespaltenes Verhältnis zum Thema Sexualität haben müssen, weil sie es anders nicht kennen.

Vieles wiederholt sich und ich wusste lange nicht, für welchen Weg sie sich entscheiden wird. Ich selbst habe mich gefragt, wie meine Biografie aussehen würde. Meine Schwester vor allem meint immer wieder, ich soll es doch einmal versuchen.

Für mich ist es jedoch noch zu früh. Es würde nicht so ausgehen, wie ich es wollen würde und es mir erhoffe. Es sollte eine Biografie sein, die trotz allem Schmerz Mut weckt.

Lilly hat das am Ende ganz gut geschafft.

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