Dienstag, 24. Juli 2012

königin der mimik und gestik

Es soll kein Eigenlob sein, aber ich würde mich schon als sehr sensibel bezeichnen. Ich kann schnell eruieren, wie sich ein Mensch fühlt, teilweise sogar Gedanken wahrnehmen. Teilweise bin ich stolz auf diese Eigenschaft, dann wieder kann sie sehr schwer zu handhaben sein. Vor allem, wenn Glaubenssätze miteinfliessen.

Ich kenne mich in der Körpersprache aus, lese auch immer wieder interessiert Berichte darüber. Ich würde nicht sagen, dass ich in Punkto Gefühle so „abgestumpft“ bin wie ein Autist, aber bei beiden Themen geht es um Gefühle.

Autisten könnten teilweise schwer Gesichter einem Gefühl zuweisen. Borderliner kennen bei Gefühlen dieses Hoch und Tief, dieses intensive Wahrnehmen des Gefühls bis hin zur Leere. Ich kann die meisten Gefühle erläutern und auch wahrnehmen. Teilweise aber schotte ich diese Empfindungen schon vorzeitig ab, um es nicht an mich heran lassen zu können.

Ich weiss, wie sich Wut anfühlt. Schlucke es aber oft runter. Ich kenne schöne Gefühle, aber auch diese unterdrücke ich oft. Es ist langfristig keine gute Handhabung, aber wie bereits bekannt möchte ich im Moment einfach funktionieren.

Während der Selbsthilfegruppe (ist auch schon bald wieder zwei Jahr her!!!) gab es eine Gefühlsmappe. Dort wurden viele positive wie negative Gefühle beschrieben (Handlungsimpuls, Gedanken, Verhalten, Gestik, Mimik,...). Es gab auch Anleitung zum entgegengesetztem Verhalten, Denken und Handeln, wenn das Gefühl der Situation gar nicht angemessen ist.

Sobald ich neue Leute kennen lerne, achte ich erst recht auf Mimik und Gestik. Jede Zugfahrt kann somit anstrengend werden. Glaubenssätze können alles kaputt machen. Wenn sich zum Beispiel ein hübscher Mann mir gegenüber hinsetzt und ich mich unwohl fühle, beurteile ich sein Verhalten auch dementsprechend.

Schnell kann ich dann der Überzeugung sein, dass er sich ekelt und bestimmt einen anderen Platz ausgewählt hätte, wenn das Abteil nicht so überfüllt gewesen wäre.

Oder der Nachbar, (kein bestimmter!) der morgens nicht grüsst. Ich bin dann sofort mit negativen Kommentaren und Gedanken beschäftigt (der findet dich doof, der grüsst nur wegen dir nicht, schau dich doch mal an,...).

Ich habe gelernt, in solchen Situationen auf die Realitätsüberprüfung zurück zu greifen. Es geht mal leichter, mal schwerer. Und es kommt auf das Thema an.

Bei Männer ist es schwierig. Ich bin da ja sehr von meinen Glaubenssätzen überzeugt und wenn der Typ im Zug sich mir gegenüber ekelt, dann ekelt er sich! Es kommt keine andere Erklärung in Frage, basta aus und finito.

Gestern konnte ich es bei meiner Mitarbeiterin anwenden. Ich war freitags alleine mit der Chefin im Büro und von der Mitarbeiterin kam so gar keine Nachfrage. Ich liess es auf sich beruhen und es löste sich dann im Verlauf des Tages auf. Sie fragte natürlich noch nach und meinte, dass ihr schwindlig wäre. Ausserdem erwähnte sie, dass sie morgens eher ein wenig länger bräuchte, um auf Touren zu kommen.

Fall erledigt!

Es sind wichtige Erfahrungen, die ich mit einer solchen Realitätsüberprüfung mache. Vor allem halte ich mir dann immer vor Augen, wie ich handeln würde, was ich denken würde und wie ich mich geben würde. Und die meisten Menschen ähneln sich da zum Glück.

Naja.... Es kann dann auch schlechte Tagen geben, wie heute zum Beispiel. Wenn sich ein Mann nicht neben mich setzt und ich da diese Distanz verspüre (die natürlich ganz klar von mir und meinem Fluchtimpuls kommt...).

Ihr merkt, trotz Borderline bin ich mir viel bewusst. Es kommt oft vor, dass mein Verstand ganz klar funktioniert. Aber eben, Glaubenssätze...

Ich schlug mir innerlich an den Kopf und ermahnte mich, dass auch ich meine Lieblingsplätze hätte.

Mit der Zeit füllte sich der Raum. Es gibt Tage, da mag ich keine Menschenmassen. Und zwei junge Mädels setzten sich neben mich auf die Bank. Sie sprachen locker, hip und flockig und ich dagegen versteifte mich immer mehr. Äusserlich merkt man mir vielleicht nichts an, innerlich jedoch ist es kaum aushaltbar. Nach fünf Minuten konnte ich nicht mehr und verliess das Pausenräumli. Ich versuchte, mich ruhig zu geben und die Zeit war so oder so vorüber.

Und doch. Es bleibt ein schlechtes Gefühl und ein schaler Geschmack. Ich weiss, was ich in einer Realitätsüberprüfung zu beachten habe und weiss, dass ich länger brauche, um aufzutauen. Ich beobachte immer noch eher.

Bei der letzten Stelle war es auch so. Als ich ging, meinten viele, wie sehr ich mich geöffnet und verändert hätte.

Aber eben, nicht in jedem Bereich ist es gleich leicht...

Und hübsche, junge, aufgestellte, offene Frauen sowie Männer sind gar nicht  meins. Uff, echt anstrengend. Aber ich bleibe positiv und lasse mich nicht von Gedanken einnehmen. Verdrängen ist auch nicht gut, aber gesund in dem Masse, wenn ich mir bzw. „ihnen“ verspreche, mich mit ihnen zu befassen, sobald die Zeit gut ist  (wenn ich zum Beispiel zu Hause bin). Mit Gedanken muss man sich auseinandersetzen.

Das A und O.

Umso weiter und tiefer man sie unterdrücken will, umso heftiger schwappen sie hoch bzw. über. Wie ein Ball, den man unter Wasser drücken will...

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