Dienstag, 16. Juni 2015

vom schicksal geprägt

.. oder auch von der Vergangenheit. Es ist eine von vielen Nächten in der letzten Zeit, in der ich wach liege. In dem mein Gehirn keine Ruhe findet, in dem meine Gedanken kreisen. Bei einem Thema beginnen und sich spiralenartig so weiterentwickeln, bis sie im untersten Kellerloch angekommen sind. Wo es so schwarz ist, dass gar nichts mehr geht.

Heute ist wieder so eine Nacht. Ich sollte eigentlich schlafen, muss morgen bzw. heute früh raus. Bereits in drei Stunden klingelt mein Wecker wieder - es geht ins Ausland mit einer Mitarbeiterin. Unter anderem kaufe ich dort meine letzten Utensilien für Amerika.

Wenn es überhaupt so weit kommt. Ich stehe kurz davor, alles zu canceln. Einfach zu stornieren. Ich frage mich immer mehr, ob ich nicht einfach zehn Wochen nach Italien abdüsen sollte. Es wird mir alles zu viel. Es liegt nicht hauptsächlich daran, dass ich die meiste Zeit auf eigene Faust reise, das denke ich nicht. Ich war ja schon fast überall alleine. Klar, es ist eine lange Zeit und es ist weit weg von hier, aber ich bin selbständig.

Ich möchte die Schuld nicht auf andere abwälzen, aber ich denke halt schon, war es einfach zu viel die letzte Zeit. Sei es privat, sei es in Sachen Freundschaften, Familie und vor allem auch ehemalige Chefin und Mitarbeiter. Von Anfang an gab es Gegner meiner Idee. Und mittlerweile sogar meine eigenen Gedanken.

Es beginnt schleichend und irgendwann liege ich nur da, schlage mit meinen Fäusten auf meine Matratze ein und verfluche mich dafür, dass ich so bin, wie ich bin. Das ich nicht abschalten kann. Das ich wieder Grübeleien über mich selbst ergehen lasse. Dass ich so bin, wie ich bin. Hasse mich für meinen Werdegang und verzweifle an meiner Lebensaufgabe einmal mehr.

Und heute ging mal wieder gar nichts mehr. Ich liege dann irgendwann einfach nur erschöpft im Bett und lausche der Stille. Kein Wimmern mehr, kein Schluchzen mehr, nur noch Tränen, die Kullern und eine Müdigkeit, welche mich doch nicht zum erlösenden, ersehnten Schlaf bringt. Und ja, ich kenne solche Nächte. Sie begleiten mich schon seit Jahren. Mal intensiver, mal weniger. Und ja, es benötigt eigentlich viel, damit ich weine. Ich tue es wirklich nur einmal alle drei Monate. Dann ist aber alles sehr schlimm und heftig.

Macht mal vier Wochen in diesem Zustand durch. Und ich bin mittlerweile ganz gut mit dabei. Und ich kann nicht mehr. Den Tag über habe ich Ruhe und Ablenkung. Wenn ich schlafen möchte, geht es los mit der Grübelei. Und ich versuche, ruhig zu atmen und wache doch immer wieder nach zehn Minuten auf. Ein Temesta nehme ich meist nicht mehr um diese Zeit - der Tag danach wird Horror. Nun hoffe ich, ist dies vielleicht eine Variante.

Ich habe heute gemerkt, was wahrscheinlich mein grösstes Problem ist: ich mache mir Gedanken darüber, was andere Menschen von mir denken könnten. Und das es eigentlich egal sein sollte. Aber ich weiss auch, dass Menschen nicht verstehen, warum ich mir diese Gedanken auch noch mache. Ich könnte sagen: "Scheisst drauf, ich mach das!"

Bis mir bewusst wird, was das alles kostet. Ich weiss, dass ich das Geld zusammengespart habe und es auch ausgeben könnte - wenn das Wörtchen wenn nicht wär.

Ich denke, Menschen, welche schon einmal existenzielle und vor allem finanzielle Sorgen miterleben mussten, können am ehesten nachvollziehen, wenn man sieht, was an Geld eigentlich für so eine Reise ausgegeben wird. Und es sind nun mal zehn Wochen unbezahlt über Vancouver, Amerika, Hawaii und New York.

Mir war schon immer bewusst, wird es viel. Und gleichzeitig ist es Geld, welches ich hart verdient habe und ich denke, ein prägendes Schicksal, eine harte Vergangenheit führt halt auch dazu, dass man so etwas durchziehen möchte. Vor allem, wenn man sich überall bestraft sieht und einfach nie einfach nur leben konnte, wie alle im Umfeld rundherum. Und ja, im Nachhinein finde ich es schon happig, was mir schon mit 19 aufgebürdet wurde, was andere nicht einmal in 60 Jahren erleben. Und das vergessen viele.

Viele vergessen auch, dass ich weiss, was es heisst, zwei Jahre keinen roten Rappen zu verdienen. Mit 25 von den Eltern abhängig zu sein und zu wissen, man kann es ihnen unter Umständen nie "zurückgeben", so, wie sie es in den eigenen Augen verdient hätten. Ich vergöttere meine Eltern und schwöre mir seit eh und je: sollte ich einmal genügend Geld haben, bekommen sie einen Dankesbatzen. Und gleichzeitig wird mir bewusst, wird dies nicht so einfach.

Und doch war da plötzlich diese Idee Amerika. Und irgendwie war auch der Job da und das Geld. Und überall die Bestätigungen und Bekräftigungen. Und der innere Trotz: warum nicht mal das machen, was ich möchte? Und nicht nur darüber kämpfen bzw. dagegen ankämpfen, was mir aufgebürdet wird? Man sucht es sich schlussendlich nicht aus - ich zumindest sicher nicht.

Ich habe mich wirklich auf Amerika gefreut. Seit diesem Wochenende sind die Zweifel so gross wie nie. Ich bin mir wirklich nicht mehr sicher und habe Alpträume und schlaflose Nächte. Überlege mir, ob zehn Wochen Italien nicht das Beste für mich wären. Eine Auszeit brauche ich so oder so, sonst steht der nächste Klinikaufenthalt an.

Und da wären wir wieder bei einem verdammt schlimmen Punkt. Ich weiss, es klingt hart, aber ich habe es satt mit dem Schönreden: Ich mache Amerika unter Umständen auch, weil ich nicht weiss, wie lange es noch dauert, bis mir wirklich einfach alles bis zum Hals steht und ich einfach nicht mehr kann. Denn wie es aussieht, steht vielleicht der nächste Jobwechsel nach Amerika auch noch an. So geht es für mich nicht weiter.

Es ist mittlerweile so schlimm, dass ich überlege, mir bei einem eventuellen "Weggang" Hilfe von aussen zu holen. Weil ich nicht weiss, wie es am einfachsten und schmerzfreisten geht. Weil ich bei "meinem Glück" fast davon ausgehen muss, einen Versuch zu überleben und dann mit Spätfolgen weiterleben zu müssen. Und das möchte ich nicht. Ich weiss, es klingt schlimm. Aber für mich klingen weitere 50 Jahre so noch viel schlimmer. Irgendwann kann man doch einfach nicht mehr. Immer diese kämpfen, sich beweisen und aufstehen müssen.

Vor allem, wenn man sich so alleine fühlt. Und es doch irgendwie nicht zeigen kann. Weil man unter Menschen einfach irgendwie funktioniert. Und solche Angst davor hat, seinen Gedanken und Gefühlen freien lauf zu lassen. Wie krank muss der Gedanke sein, jemanden anheuern zu wollen, welcher für jemanden etwas tut, was man alleine nicht schafft? Einfach, damit es irgendwann einmal plötzlich und unvorbereitet passiert und dann einfach endlich alles vorbei ist?

Es ist mein Leben. Mir sollte egal sein, was andere denken. Mir sollten diese Zweifel egal sein. Ich sollte einfach leben und Amerika geniessen. Erst weiterschauen, wenn ich zurück bin. Dann wieder eines nach dem anderen nehmen.

Aber habe ich überhaupt noch Bock darauf?

Die Kraft dafür?

Es gibt so vieles, was mir durch den Kopf schwirrt. Aber das kommt ein andermal. Ich versuche es noch einmal mit Schlafen. Optimismus. Gleichgültigkeit.

Es wird schon alles so kommen, wie es muss.

Aber warum muss es immer so steinig sein? Oder sich so anfühlen...

Eine Spirale beginnt bei einem einfachen Gedanke - und führt immer wieder dazu, dass man nur noch hoffnungslos den Kopf schütteln kann. Über sich. Seinen Lebensweg. Und diesen enormen Selbsthass, den man über Jahre entwickelt hat. Diese Wut auf sich selbst. Obwohl man wirklich nichts dafür kann. Menschen mit psychischen Problemen stellen sich nicht an eine Tür und beten darum. Aber in der heutigen Gesellschaft ist es leider immer noch so, dass es ein Tabu ist und einem immer wieder gesagt wird, mit Stärke und Disziplin schafft man alles.

Gerne, wenn ich dann auch die Vergangenheit tauschen darf - sofort. Einfach ist immer das, was man nicht selbst miterleben musste. Und ich vergesse leider oft, dass ich es nie einfach hatte. Und im schlimmsten Fall nie haben werde.

Und in solchen Momenten lacht mich mein Kritiker, welcher mir gegenüber sitzt, aus und klopft sich auf die Schenkel. Amüsiert sich über meine Naivität. Wie ich mir überhaupt Gedanken darüber machen kann, dass ein einziger Klinikaufenthalt und sechs Jahre Therapie überhaupt ausreichen sollen, ein normales Leben führen zu können.

Fies, wie sie dasitzt. Mein Ebenbild. Besonders schlimm ist die Tatsache, dass sie recht hat. In diesem Moment. Im hier und jetzt hat sie recht. Und sie wächst wieder an. Diese Angst, dieser Hass, die Häme, uach.

Wenn ich nur an den Punkt zurückkehren könnte, wo die Wende ihren Lauf nahm - ich würde alles dafür geben. Sogar zehn Wochen unbezahlten Urlaub in Amerika. Sofort. Für fast jeden Preis.

Im Nachhinein weiss ich leider nicht, ob es eine gute Idee war, sich alles von der Seele zu schreiben. Ich habe gehofft, dass es mir helfen würde. Einfach hier alles freien Lauf lassen, den Frust raus und die Tränen einfach laufen lassen. Müde dadurch werden.

Aber es wird irgendwie nur schlimmer...

Der Tag hat doch so gut begonnen - so schön verregnet draussen und ich und Schila in der trockenen Wohnung auf dem Sofa...

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