Mittwoch, 17. Juni 2015

individualisieren?

Mir liegt etwas auf dem Herzen, was hier raus muss. Ich habe hier schon einmal erwähnt, dass mich Menschen verstehen können, aber es immer noch ein grosser Unterschied ist, ob man es auch nachfühlen, nachverstehen und vor allem nachleben kann. Für mich ein gewaltiger Unterschied.

Auch habe ich hier einmal darüber berichtet, dass es Dokumentarfilme gibt, welche ich eigentlich nicht schauen sollte. Vor allem, wenn es um Suchtkrankheiten, Menschen mit schlimmen Schicksalen oder psychisch kranken Menschen geht. Menschen, welche ganz unten sind.

Und ja, ich weiss im Nachhinein immer, dass mir solche Dinge nicht gut tun. Sie sind eher kontraproduktiv und ich lande wieder in dieser Spirale Richtung schwarzes Loch. Selbstzweifel, Selbsthass, hadern mit dem Schicksal - das ganze Programm eben.

Letztens habe ich mir eine Doku angeschaut - es geht um Paare, bei welchem ein Teil psychisch angeschlagen ist. "Na toll", dachte ich mir. "Jetzt werden alle Klischees herausgekramt und die Horrorgeschichten ausgekratzt. Damit wieder alle denken, wie schlimm wir sind!"

Mir ist bewusst, ist jede Beziehung anders. Wie mir auch bewusst ist, dass nicht jeder mit gleicher Diagnose genau gleich ist. Ging mir ja auch so bei meiner Gruppentherapie. Da gab es ja viel schlimmere Fälle, wie mich. Mir ist aber auch gleichzeitig bewusst, schürt Unwissenheit viel Unsicherheit bei Mitmenschen und in der heutigen Gesellschaft ist halt psychische Schwäche immer noch nicht überall gleich nachvollziehbar. Vor allem in der Schweiz muss man funktionieren, fleissig sein und sein Geld verdienen und gut anlegen. Familie gründen und weiss ich was.

Ich kann verstehen, hat man Angst davor. Aber ich hasse es, wenn in der Gruppe eine Suchtkrankheit aufkommt und sofort alles verallgemeinert wird. Vor allem bei Borderline denken viele, dass man sich ständig ritzt. Ich weiss, es gibt enorm schlimme Fälle - aber ich habe mich auch nicht jeden Tag geritzt. Es gab sogar Phasen von über achtzehn Monaten und ich bin nun seit fast einem Jahr auch wieder "über dem Berg", was Selbstverletzung angeht. Mir sieht man meine Narben nicht an und auch sonst finde ich, bin ich ein umgänglicher Borderliner. Klar, zwischenmenschlich ist es manchmal schwierig, aber auch da finde ich, ist doch jeder Mensch eigen. Warum hat man überall Verständnis und meine Vergangenheit macht so vieles aus? Das verstehe ich persönlich nicht.

In dieser Doku gab es ein Paar, wobei die Frau Diagnose Borderline gestellt bekam. Ich rollte innerlich schon mit den Augen und wollte eigentlich die Doku abbrechen. Und irgendetwas hielt mich doch fest. Und schlussendlich bin ich froh, habe ich es geschaut. Dieses Paar hat mir enorme Zuversicht geschenkt. Der Umgang miteinander, wie der Mann reagiert hat und wie sie damit umgeht. Einfach vorbildlich. Klar, es ist eine Momentaufnahme und der schwierigste Punkt der Beziehung haben sie überwunden. Aber dieser Mann hat sich von einer Diagnose nicht abschrecken lassen. Hat sich darüber informiert, mit seiner Partnerin darüber gesprochen. Sie konnte vieles erklären.

Ich war gerührt. Vor allem, weil es zeigt, dass ein Miteinander geht. Und ich bin umgänglich. Ich versuche klar darüber zu sprechen, wie ich bin, wenn es mir schlecht geht. Und die wichtigsten Menschen um mich herum wissen, dass ich mich dann total zurückziehe, vergesslich werde und niemanden sehen möchte. Damit ist schon viel gemacht, damit kann man arbeiten. Und ich drohe meinen Mitmenschen nicht mit Selbstverletzungen und schlimmerem. Ich gehe arbeiten, ich tue, was zu tun ist und meistens geht es mir ja mehr oder weniger gut. Es ist manchmal eine schwere Zeit, aber irgendwie reisse ich mich immer zusammen.

Zwischenmenschlich bin ich halt in Sachen Männer verdammt unsicher und es braucht lange, um Vertrauen aufzubauen. Aber auch da bin ich zuversichtlich, sollte der Mann für mich kommen, wird er kommen, weil er diese Aufgabe mit mir in Angriff nehmen kann und will. Es wird dann schon so kommen, wie es kommen wird. Aber es ist schwierig, immer so positiv zu denken. Vor allem, wenn meine Grundhaltung ist, dass ich keinem Mann wehtun möchte und mich niemanden zumuten will. Das ist ein sehr starker Glaubenssatz, welcher es schwierig macht, sich zu öffnen.

Und der Umstand, bis jetzt allein gewesen zu sein, macht es nicht leichter. Ich weiss immer mehr, was ich an meiner Freiheit zu schätzen habe und vor allem setzte ich immer mehr meine Grenzen fest und weiss, was ich will und worauf ich überhaupt keine Lust habe.

Das Paar hat mir da ein wenig Mut gemacht. Aber es gibt einfach körperliche Probleme, welche einfach (noch) eine Hürde zu gross sind. Ich kann es mir wirklich nicht vorstellen. Und doch fand ich die Doku klasse. Ich denke, dieses Paar hat vielen den Beweis erbracht, dass Borderline diagnostiziert ist und man nicht Borderline ist / lebt. 

Viele Menschen haben ihre Eigenschaften und man nimmt sie so hin. Warum ist alles schlimmer, wenn man weiss, dass Borderline ein Thema bei jemandem war? Warum sind es dann nicht mehr Eigenschaften, sondern schwierige Verhaltensweisen, ausgelöst durch eine psychische Krankheit?

Der Mann hat mir Mut gemacht. Das Menschen tolerant sind. Und ich bekomme es zu Hause ja auch vorgelebt. Meine Familie akzeptiert mich und hat mich auch nicht aus dem Haus gejagt, als es nicht mehr ging. Als ich alles aufgeben musste. Weil sie merkten, dass ich trotzdem an mir arbeite und obwohl ich arbeitslos war, habe ich mich zu Hause nicht nur einfach unter der Bettdecke versteckt. Ich habe den Haushalt übernommen und alle entlastet. Und ich denke, da liegt der Unterschied. Es gab sehr dunkle Momente und es gibt es sie auch noch jetzt. Es gibt Raum für diese Zeiten und doch gibt es viele Momente, in denen mir bewusst ist, dass ich das nun hinten anstellen und "funktionieren", Verantwortung für mich und mein Leben übernehmen muss.

Eine Frage ist mir dann doch sehr ans Herz gegangen. Der Reporter fragte das Paar, ob sie sich Kinder wünschen. Der Mann meinte, er schon und schaute zur Partnerin. Er meinte, sie auch. Ihr Blick sprach Bände - ich wusste ganz genau, was sie sagen wollte. Sie sprach es dann auch aus, dass natürlich Unsicherheiten bestehen würden. Mehr musste sie nicht sagen. Ich kenne es ja auch. Man macht sich Gedanken, weil man nicht weiss, ob man mit der Belastung klar kommt. Was ist, wenn man wieder total unten ist und vor allem hat man ja plötzlich Verantwortung für ein hilfloses Wesen. Zudem ist meine persönlich grösste Angst, meine Krankheit weitervererben zu können. Und ich möchte nicht, dass mein Kind sich mit 12 schon mit Gedanken herumschlagen muss, welche manch 40zig Jähriger nicht muss.

Aber ich bin überzeugt, dieses Paar wird es schaffen. Und es hat mir enormen Mut gemacht! Nicht in Sachen meiner Glaubenssätze. Ich bin da noch ein wenig hart mit mir. Aber doch, dass es verständnisvolle, überlegte Menschen gibt.

Und meist mache ich mir ja einen Kopf über Dinge, die gar nicht sein müssen. Ich stosse ja gewisse Menschen auch nicht ab, weil sie nicht "normal" sind (normal ist das, was man selbst als normal definiert, ist mir schon klar. Aber unsere Gesellschaft ist teilweise wirklich nur noch krank in gewissen Ansichten, schlimm). Mich stört es ja auch nicht, wenn ein Mensch ein Handicap hat. Aber da spielt meine Vergangenheit vielleicht viel mit bzw. bringt viel mit sich mit.

Ich meine, ich erschrecke ja auch darüber, wenn eine Frau mit Brustkrebs sagt, dass kein Mann sie heiraten möchte - so entstellt, wie sie ist. Da kann ich nur den Kopf schütteln und denke mir, wie leid mir diese Frau tut. Das es bestimmt Männer gibt, welche nicht so oberflächlich sind. Es ist letztens bei RTL ein Bericht über ein Tätowierer gekommen, welcher Frauen Brustwarzen tätowiert, welche durch einen Wiederaufbau der Brust keine mehr haben. Meist hatten diese Frauen Krebs und diesen besiegt. Er meint zu einer Kundin, ob sie verheiratete sei. Ich dachte mir in diesem Moment "aber klar! Selbstverständlich! Es gibt tolle Männer!"

Ihre Antwort, "wer will so etwas schon heiraten", hat mich geschockt. Und innerlich wurde mir sofort klar, dass meine Antwort ja auch immer so klingt: wer will so etwas schon bei sich haben. Ich kann ihr Gefühl, ihre Angst und ihre Gedanken genau nachvollziehen. Und da wurde mir klar: wenn ich denken kann, dass sie mit ihrer Brust einen Mann "verdient" hat und es bestimmt kein Hindernis für mich und viele andere Menschen darstellt (ich meine, SIE ist und bleibt doch MENSCH!), vielleicht denken das viele auch bei mir. Vielleicht mache ich mir bei meinem Handicap auch einfach viel zu viele Gedanken. Vielleicht befasse ich mich zu viel damit. Vielleicht fällt es anderen gar nicht auf und vielleicht gibt es genügend Männer, bei denen es so etwas von egal ist.

Ich habe also innerhalb von einer Woche viel gelernt. Und ich hoffe, man versteht, was ich damit meine. 

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