Samstag, 30. Mai 2015

dokumentationen & bedeutende plätze

Es gibt Plätze, Farben, Kleidungsstücke oder Situationen, welche uns immer wieder an schicksalhafte Wendungen erinnern werden. Teilweise an schönere, dann wiederum an weniger schönere, welche sich einfach in unseren Köpfen eingenistet haben. Manche sind gewollt - egal, ob es positive oder negative Erinnerungen sind. Ich glaube schon daran, dass viele Menschen sich an schlechte Lebenszeiten erinnern wollen, weil sie den Schmerz einfach spüren müssen und es nicht loslassen können. Obwohl sie ganz genau wissen, dass es ihnen nicht gut tut und sie auch merken, dass nur sie alleine loslassen können. Und jeder wüsste, wie das klappt: radikal akzeptieren, löschen und dann auch dabei bleiben.

Wie ich darauf komme? Ich habe letztens mal wieder meine Bilder sortiert und gesichert. Und bin dabei auf untenstehendes Bild gestossen. Dass habe ich bei meiner jetzigen Arbeitsstelle während des ersten Personalausflugs geschossen. Ich war noch in der Probezeit und ja, mit einem gewissen Mitarbeiter in der Gruppe. An diesem Ort und nach diesem Tag hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass da etwas ist, dass ich Schwingungen wahrnehme, Sprüche und Berührungen und es gab auch ein sehr gutes Gespräch, an das ich mich heute noch erinnere. Mit körperlicher Nähe, obwohl ich die Neue war und obwohl er andere besser kannte. Und ja, irgendwie hat sich dieser Ort eingebrannt und die Situation kommt mir auch dann immer in Erinnerung, wenn ich daran vorbeifahre. Was mittlerweile nicht mehr oft der Fall ist. Aber wenn ich mal da in der Nähe an der Ampel stehe, kommt mir diese Situation sofort wieder in den Sinn. Aber ich empfinde das als eine positive Erfahrung, daran erinnere ich mich gern. Denn es war nach langer Zeit mal wieder das Gefühl, in der Gesellschaft angekommen zu sein (nach jahrelanger Arbeitslosigkeit!). Und vor allem war er der erste Mann, bei welchem ich diese körperliche Nähe zulassen konnte. Ohne schlechtes Gefühl, ohne Angst. Und ja, wer meine Vergangenheit kennt (ich wiederhole hier nicht alles) und auch sonst die letzten Einträge mit ihm aufmerksam mitgelesen hat, weiss, dass es halt doch sehr unüblich für mich ist und vor allem war, bei einem Mann so viel Nähe zulassen zu können. Für mich war es ein Neuanfang. Klar, auch heute noch ist es eine solche Sache mit körperlicher Nähe. Aber vor allem der Fluchtimpuls vor Berührungen ist nicht mehr gegeben und mein erster Gedanke ist nicht automatisch, dass sich doch Menschen ekeln müssen, mich zu berühren bzw. sich ekeln, wenn ich sei berühre. Es gibt doch noch solche Situationen, aber ich denke mir, dass wir alle alt genug sind, um selbst zu entscheiden, wen wir berühren wollen - und wen nicht.

Aber ich kenne auch die Kehrseite. Vor allem meine Schuhe zum Beispiel. Oder die Farbe rot. Bei den Schuhen gibt es einfach immer eine Situation, welche mir in den Sinn kommt, wenn ich sie anziehe. Und das stört mich, weil es meine Lieblingsstiefel sind. Vielleicht ist das ja in einem Jahr vergessen, wenn wieder Saison für die ist. Noch mehr stört mich aber, wenn ich die Farbe rot anziehen möchte. Da kommt einfach sein Kosename für mich wieder in den Sinn. Wie auch, wenn ich ein weisses Maxikleid anziehe. Denn bei rot hat er mich bis jetzt immer "s'Tüüfeli" genannt und beim Maxikleid "ach lueg emal da, s'Engeli chunnt um de Egge!" Und ich weiss ganz genau, dass ich das einfach hinter mir lassen muss - weiterhin rot und weiss anziehen oder es sein lassen. Geht aber nicht, weil mir rot besonders gut steht - finde ich irgendwie seit gut einem Jahr :-).

Das ist eine solche Sache: was tut mir gut (tue ich aber meist nicht) und was tut mir nicht gut (und ich tue es trotzdem). Es war mal ein sehr grosses Thema bei mir in der Therapie. Vor allem, weil ich mir nichts Gutes tue, wenn ich es eigentlich tun müsste. Ich pflege mich, ja. Aber ich sollte mich zum Beispiel mehr eincrèmen und so eher auf meinen Körper achten - ihm Fürsorge tragen. Aber wenn man sich selbst nicht wirklich mag (es geht dabei nicht nur um das körperliche Empfinden, es geht um den Selbsthass, diesen Groll auf das Schicksal und den Selbstwert), geht es oft unter. So auch, wenn ich mich zum Beispiel von etwas fern halten sollte. Weil ich nicht einsehe, warum ich nur wegen "mir" etwas sein lassen sollte. Zum Beispiel heftige Dokumentationen. Einerseits möchte ich wissen, wie andere mit ihren Schicksalen umgehen. Andererseits weiss ich teilweise ganz genau, dass sie mir nicht gut tun. Aber aus trotz (weil sich andere über solche Sachen keinen Kopf machen müssen), schaue ich erst recht. So auch gestern. Da habe ich mir eine Doku angesehen, in der es um das Unglück eines einzigen Menschen geht. Und das sich die bei jeder Wendung in seinem Leben wiederholt hat. Und ja, teilweise empfinde ich bei mir ja auch so. Ich hoffte, ein paar Fragen dadurch beantwortet zu erhalten. Und gleichzeitig auch Verständnis. Weil ich halt schon finde, dass mir nur Menschen nachempfinden können, welche Ähnliches oder Schlimmeres durchmachen mussten.

Ich habe einen Satz daraus mitnehmen können. Und eine Antwort, welche mir Angst macht. Weil ich sie zur gleichen Zeit wie der Mensch, welcher in dieser Reportage begleitet wurde, geflüstert habe. Einerseits der Satz, welcher einfach alles für mich zusammenfasst:

"Die ständige Sehnsucht nach Nähe - und zeitgleich die ständige Angst davor".

Es beschreibt vieles in meinem Leben. Mein Ich. Mein Handeln. Meinen Charakter. Meinen Drang nach Freiheit. Dieses Gefühl der Rastlosigkeit. In allen Bereichen. In allen Situationen. Mein gefühltes hin und her. Dieses extreme. Nicht umsonst ist Borderline eine Bezeichnung für extreme Stimmungsschwankungen und Empfinden extremer Gefühle (positive wie negative). Klar, ich erfülle gemäss Therapeutin aktuell nicht mehr die Punkte für eine Diagnose, aber ich habe sie durchlebt und sie hat mich geprägt. Sie ist Teil meines Lebens und meine Vergangenheit wird immer eine Rolle mitspielen. Ob ich will, oder nicht. Mal mehr, mal unbewusst, mal bewusst und mal unschuldig.

Richtig Angst hatte ich, als der Reporter den Mann in der Doku fragte, ob er Angst vor dem Tod habe. Er verneinte diese. Er meinte weiter, was denn der Tod für ihn bedeuten würde bzw. wie er sich diesen Vorstellen würde?

Mir rollten Tränen über die Wange und ich hauchte ein: "Erlösung".

Zeitgleich mit dem Menschen in der Reportage. Und es machte mir Angst - weil er dann weiter meinte, dass er einfach hofft, in ein besseres Leben zu kommen. Und auch ich habe keine Angst vor dem Tod, überhaupt nicht. Ich persönlich hoffe einfach, dass ich dann in eine Welt komme, in der ich das bekomme, was ich (mit meinem Empfinden) wirklich verdient habe. Dass einfach alles besser und schmerzfreier wird. Und vor allem, dass ich ein Leben verlassen kann, in dem ich nur das Gefühl habe, bestraft zu werden, für etwas, was ich nichts dafür kann und es mir nicht selbst ausgesucht habe. Aus einem Leben gehen, in dem ich das Gefühl habe, für ein früheres Leben meinerseits bestraft zu werden. Ich muss eine ziemlich üble Person darin gewesen sein :-s.

Und sofort kam da der Gedanke und die Angst, weitere 50 Jahre so weiterleben zu müssen. Und das ich darauf keinen Bock habe - und die Einsicht, dass diese Reportage wirklich nicht die beste Wahl war und ich dem Trotz nächstes Mal vielleicht doch eine Ansage machen müsste und eine weitere Reportage in diese Richtung nicht so schnell schaue. Weil egal, ob es mir gut oder schlecht geht: die Spirale dreht sich und ich stehe schlussendlich immer vor der gleichen Tür. Und wenn sich diese öffnet, geht die Spirale erst richtig los.

Aber ich habe mich gut gefangen. Habe Pupa kurz angerufen und auch sonst einfach eine Telenovela vor dem Einschlafen geschaut. War dann so kaputt, dass ich meine Augen zumachte und eine traumlose Nacht hatte. Und solche Tage geben mir wieder Mut. Das ich irgendwie doch auf einem halbwegs ganz ordentlichen Weg bin und nie dort stehe, wie vor ein paar Jahren.

Und das macht Mut! Und wenn diese Hoffnung nur kurz aufleuchtet. An manchen Tagen mehr, an anderen weniger. Und ich muss akzeptieren, dass dies halt noch ein Weilchen so weitergehen wird. Und alles seinen Sinn hat. Und ich irgendwann einmal hier sitze und tippe, dass ich nun weiss, was ich von dieser Zeit habe, was ich mitgenommen habe, wie ich an dieser Prüfung gewachsen bin und für mich selbst den Grund, welcher all dies "erklärt", gefunden habe. Und sich es sich doch irgendwie "gelohnt" hat, dass alles miterleben zu müssen.

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