Freitag, 1. April 2016

für mich ist das 2016 gelaufen

Für mich persönlich kann es dieses Jahr nicht schlimmer werden. Nach einem dummen Arzttermin (bei dem ich mich so missverstanden habe), kam ich nach Hause und war verblüfft, als ich Babbo am Esstisch sitzen sah. Ich meinte noch, was er zu Hause machen würde. Er meinte, dass er frei hätte. Mein Mami kam um die Ecke geschossen und meinte zu mir, was denn ich an meinem ganztägigen Arbeitstag am Nachmittag zu Hause machen würde.

Ich wollte sie nicht belasten und meinte, ich hätte ebenfalls frei. Ich wollte zum Herd laufen und feine Frust-Spaghetti-Aglio-Olio-mit-Tomaten kochen. Sie meinte nur, ich solle mich aber zuvor noch kurz an den Tisch setzen.

Mir war plötzlich eisig kalt. Ich starrte sie an und meinte nur noch: "Wer?" Sie meinte, ich solle mich hinsetzen. Es wäre ihr lieber. Ich meinte, bevor ich mich hinsetzen würde, solle sie es mir sagen und dass ich nichts mehr vertragen würde, weil ich beim Arzt gewesen sei und krankgeschrieben bin. Da schon verlor ich die Stimme und Muddi entschuldigte sich, dass sie mich nun noch mehr belasten müsse.

Meine Tante (Schweizerseite) sei seit Dienstag vermisst worden. Meine Mutter hat davon am Mittwoch erfahren. Am Mittwoch ging es mir nach dem Gespräch verschissen und am Abend war ja dieser Abschiedsapéro. Wir sahen uns zudem an diesem Tag nur zehn Minuten. Gestern war ich ganztags unterwegs und am Abend hatte ich keine Lust, auf Gespräche. Da ging ich nur noch ins Bett und löschte das Licht. Wir haben uns erst heute wieder "live" gesehen.

Es ist die Frau meines Onkels (also Muddis Bruder). Beide haben lange auf ihr Wunschkind warten müssen, meine Cousine ist nun knapp 17 und ein Einzelkind. Meine Tante hatte vor etwa zwei Jahren einen Zusammenbruch und ging in eine Klinik, gefolgt von einer Therapie. Es schien danach bergauf zu gehen, mein Onkel öffnete sich enorm, redete mehr und war nicht mehr so verschlossen und ruhig. Dieses ruhige Wesen haben wir wirklich von meinem Grossdäddi geerbt. Auch ich, Muddi, mein Bruder und diese Cousine sind auch eher introvertiert, ruhig und extrem sensibel.

Nach Weihnachten erfuhren wir, dass es ihr wieder schlechter ging und sie wieder einen Klinikaufenthalt durchführt. Ich dachte mir, dass es einfach eine schwierige Zeit war - aber heute hat sich herausgestellt, dass mein Onkel in letzter Zeit oft von "ihrem anderen Ich" erzählt hat und meine Tante anscheinend schizophren war. Wobei mir nie etwas aufgefallen ist, was natürlich schwierig ist, weil ich ja kaum Zeit mit ihr verbracht habe. Ich kenne ihre Lebensgeschichte nicht und man trifft sich ja auch leider nur höchstens 5 bis 6 Mal im Jahr. Aber mein Onkel hat anscheinend auch schon Bekanntschaft mit dem anderen Ich gemacht. Fakt ist: zu mir war sie immer lieb, nett und so fürsorglich. Sie kochte für ihr Leben gern, war so ein ruhiger, toller Mensch. Einfach ein herzensguter Mensch. Und als endlich meine Cousine auf dem Weg war (sie haben wirklich lange darauf warten müssen), schien alles perfekt.

Am Mittwoch ist eine - fällt mir das schwer - dieses Wort zu tippen... Leiche gefunden worden, die nicht mehr erkennbar war. So schlimm hat sie sich von dieser Welt verabschiedet. Sie benötigten DNA, weil es anders nicht mehr ging. Und heute ist leider bestätigt worden, dass es sich dabei um sie gehandelt hat.

Muddi meinte, dass meine Cousine und mein Onkel gefasst scheinen. Ich beteuerte natürlich, dass mir das alles Leid täte und man einfach nicht oder schwer nachvollziehen kann, warum für sie ihre Familie nicht mehr gereicht hat. Das ich die Gedanken verstehen kann, aber den Schritt nachvollziehen sich als schwierig herausstellt. Und das meine Cousine - mit unseren erblichen Vorbelastungen - in einem verschissenen Alter ist, um damit umgehen zu müssen. Bei mir selbst ist das alles ja mit 12 ausgebrochen und soviel ich weiss, ist die Familie meiner verstorbenen Tante sowie meine Schweizerfamilie vorbelastet, was nun mal halt Depressionen betrifft. Okay, vielleicht ist das ein zu hartes Wort. Die Schweizerfamilie seitens Muddi ist halt allgemein sehr ruhig und zurückgezogen. Macht alles mit sich selbst aus. Ist übersensibel und mutet sich viel zu viel auf. Die Familie meiner verstorbenen Tante hat halt doch auch ihre Vorgeschichte mit Schizophrenie. Und ich weiss einfach, wie schwierig dieses Alter ist. Und meine Cousine sieht mir nicht nur äusserlich so verdammt ähnlich, innerlich tickt sie auch sehr gleich. Wie oft zieht uns unsere Familie hoch, weil sie mit 17 so aussieht, wie ich damals vor zehn Jahren. Ich selbst erschrecke teilweise, weil sie so gleich aussieht.

Wie gesagt: bei mir schlug es dann schnell auch ein wenig auf Wut um - jetzt bin ich wieder am Boden zerstört. Ich beteuerte auch meinem Muddi, dass es mir leidtut, wie sehr diese Frau leiden musste und das es schrecklich ist, sah sie diesen Weg nur noch als Ausweg bzw. dieses zweite Ich. Diese Stimme hat es ihr anscheinend befohlen, weil sie sich so sehr selbst verabscheute. Und doch: zurück bleibt doch diese Wut, dass sie ihre Tochter und ihren Mann zurück gelassen hat. Ich selbst weiss, wie scheisse es einem gehen kann, sodass nicht einmal die eigene Familie mehr "Grund genug ist, sich gegen den Selbstmord" zu entscheiden. Ich selbst wollte es Muddi nicht antun.

Ich kann es wirklich verstehen. Ich kenne diese dunkle Gegend, wo alles noch tiefschwarzer scheint, wo es für Aussenstehende einfach nur schwarz ist. Ich weiss, was das alles heisst. Aber diesen Schritt dann wirklich gehen, das ist schwierig. Auch die ganze Sache so zu sehen, dass der Leidende hoffentlich seinen Seelenfrieden gefunden hat.

Den Freitod, den sie gewählt hat, ist schrecklich. Das tut so weh, wenn man sich vorstellt, wie sie selbst die letzten Minuten leiden musste. Es zerreisst mir das Herz und der Boden ist mir von den Füssen weggerissen worden.

Nach diesem Gespräch ging gar nichts mehr. Ich vertraute Muddi ein paar Dinge an und doch nicht alles. Einfach, dass sie nachvollziehen konnte, warum ich beim Arzt gewesen war und nun krankgeschrieben bin. Sie war erschrocken, ich hatte ihr gar nichts darüber erzählt (vom Termin also). Babbo war auch da und es war mir gar nicht recht. Er ist der tollste Vater der Welt, aber solche Dinge versteht er nicht, er ist da doch zu sehr Italiener (Zähne zusammenbeissen, arbeiten, schuften und krampfen). Er dachte, es geht um die Arbeit. Er meinte, ich solle künden, er und Muddi seien für mich da und würden auch mich noch durchbringen. Er versteht einfach nicht, dass ich mich schon so als Versagerin fühle und es hasse, durch meine Vergangenheit so arbeiten zu müssen. Und dass es nur noch schlimmer werden würde, wenn ich auch diesen Job verlieren und wieder zu Hause sitzen würde. Er sieht da nicht, dass ich meinen Alltag tagtäglich anpacke und es schon so hart genug ist, mit meiner Vergangenheit und meinem Schicksal umzugehen. Dass ich mir meinen Lebensweg ganz anders für mich vorgestellt habe. Es würde mein Versagensgefühl nur bestärken.

Fakt ist: der Arzt hat mich gar nicht verstanden. Und als ich das schon zu Beginn meines Gesprächs bemerkte, ging die Mauer total zu. Ich brachte nichts mehr raus und konnte meinen Standpunkt nicht mehr klar verteidigen. Ich fühlte mich einfach missverstanden. Er meinte, es käme plötzlich, dass ich nervlich fast am Ende sei. Das verstehen normale Menschen einfach nicht, vor allem, ist es ja nicht erst seit gestern so bei mir. Aber eben, ich verschloss mich und sagte gegen Ende gar nichts mehr.

Er fand, dass ich die Ablenkung vom Geschäft aus brauchen würde (obwohl ich zu ihm meinte, dass schon nur der Gedanke an meine Vorgesetzte meinen Körper mit Anspannungen füllen würde und ich sie kaum ertrüge) und er mich doch lieber einfach für 50 % krankschreiben wolle. Und dies für die nächsten zwei Wochen. Oder wie ich es mir vorgestellt hätte? Ich schüttelte einfach resignierend den Kopf und dachte mir innerlich schon, dass ich dann die restliche Arbeitszeit halt mit meinen eh schon 14 Tagen Überstunden kompensiere. Dass ich doch eine Struktur hätte.

Er verstand nicht, dass ich Angst davor habe, ganz zu künden. Weil einfach nichts mehr geht. Deswegen schlafe ich ja nicht besser. Und dass ich seit zwei, drei Wochen kaum ein Auge zubekomme. Nun ja. Bei diesem Gespräch wusste ich ja noch nicht, dass meine Tante sich für den Freitod entschieden hat. Ich persönlich mag mich nicht noch einmal mit meinem Arzt auseinandersetzen. Ich fühle mich echt missverstanden.

Aber wie schwer erscheint mir dieses Gespräch in Anbetracht zu dieser schrecklichen Meldung. Zwei Selbstmorde innerhalb eines Monats. Mit meiner Vorgeschichte. Es ist definitiv zu viel.

Ich verabschiede mich für ein paar Tage. Ich brauche nun einfach Zeit für mich. Ruhe. Abstand von allem. Einfach alles fernhalten.

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