Dienstag, 1. März 2016

luft holen...

Es wird nun jedes Jahr so sein, dass der freiwillige Tod vom Bekannten meiner Eltern sich direkt am Tag nach dem Geburtstag meines Bruders und die Beerdigung in Italien an meinem Geburtstag jähren wird.


Dieses Jahr ist der Kloss im Hals noch grösser, meine Zukunftsaussichten noch düsterer und meine Existenz- und Geldsorgen noch extremer. Denn ich weiss, was im Kopf dieses lieben Verstorbenen vor sich gegangen ist an rabenschwarzen Gedanken. Eine solche Kurzschlussreaktion kann man nicht verstehen - aber als selbst phasenweise depressiver Mensch mit Alltagskämpfen jeder Art (mal intensiver, mal weniger), nachvollziehen.


Gestern war ein Abschiedsgottesdienst in der Schweiz. Der Verstorbene wollte in Italien beerdigt werden. Ich finde das noch schlimmer für die Ehefrau, wie es eh schon ist. Es sind fast 1'400 Kilometer, die sie trennen. Klar, sie trägt ihn im Herzen und das allein zählt. Und doch möchte man doch ans Grab, und dafür nicht noch so lange reisen. Und doch zeigt es ihre Stärke, erfüllt sie ihm auch noch diesen, letzten Wunsch.


Der Sarg war zum Glück geschlossen, ich kann damit nicht umgehen. Seine Frau lief sofort zu ihm und streichelte den Sarg, sprach mit ihrem Mann und wünschte sich für ihn, dass es ihm gut geht, dort wo er nun ist.


Bei mir brachen plötzlich alle Dämme. Sie tat mir so unendlich leid. Muddi nahm mich sofort in den Arm und beteuerte erneut, dass er nun hoffentlich seinen Seelenfrieden gefunden hat. Ich meinte daraufhin nur: "Aber nicht so!"


Und doch betete ich für ihn und sprach mit ihm, dass er nun hoffentlich an dem Ort ist, wo er sein will und wo es für ihn keine Schmerzen, Kummer, Ängste und Sorgen gibt. Und wo er auf seine Frau warten und sie dann glücklich und zufrieden in seine Arme schliessen kann.


Ich kann nun ein wenig besser verstehen, wenn Zurückgebliebene nicht um einen Selbstmörder trauern können, sondern wütend sind. Der selbst ist dann ja weg und das Problem in diesem Sinne auch. Und doch lässt er liebende Menschen zurück. Es ist nicht das gleiche, wie wenn ein Mensch in hohem Alter stirbt oder durch einen plötzlichen Unfall. Klar, ich selbst weiss, dass diese Gedanken so drängend sein können - aber man muss sich genau dann bewusst sein, dass es unter Umständen kein Zurück mehr gibt oder schlimme Konsequenzen dadurch entstehen.


Mich hat immer meine Familie zurück gehalten und die Angst, gelähmt oder mit Handicap wieder zurück ins Leben geholt zu werden. So hart es für die hinterlassene Ehefrau ist: ich habe hautnah mitbekommen, was Selbstmord alles auslösen kann und wie es den Hinterbliebenen dabei geht. Vor allem, was sich da innerlich bei mir alles abgespielt hat, eine seiner stillen Leidensgenossinnen. Er wusste nichts von meiner Diagnose. So komisch es klingen mag: es läuft bei mir nicht erst seit gestern mies und in einem Trott. Und doch stehe ich jeden Tag auf und kämpfe. Mal mit Erfolg, mal bin ich ganz mich selbst, dann wieder meine Diagnose mit Grübeleien und Gedanken. Aber es zählt immer das Resultat am Ende des Tages: ich habe mich nicht verletzt oder umgebracht. Es ist verschissen, aber ich kämpfe weiter für mich und meine Familie.


Es ist ein trauriges Resumée... aber ich werde mich nach diesen Tagen nie für einen Selbstmord entscheiden. Klar, ich bin ja bei diesem Ziel schon ein paar Jahre gut mit dabei, suizidal war ich zum Glück lange nicht mehr und dies trotz schweren Phasen. Aber es hat die Hemmschwelle dazu verhundertfacht. Wenn ich die Kraft besitzen würde, würde ich zur zambrottagirlie im nächsten Leben zurück (wo ich wirklich am Nullpunkt war) und ihr vor Augen halten, was ein Selbstmord so alles auslösen kann. Wobei mich der Gedanke daran, dass Muddi mich so finden muss, schon immer davon abgehalten hat.


Sie weiss ja, dass es für mich auch nicht leicht ist. Aktuell bin ich in London, alljährlich scheiss (sorry für den Ausdruck, ist aber so) ich auf meine Geldsorgen und schenke mir einen Shoppingtrip.


Es tut gut. Vor allem komme ich zum Schlafen, die letzten Nächte waren kurz und wirr. Immerhin haben die Träume über Mord und Totschlag nachgelassen. Und ich bin weg. Weg aus der Schweiz, dem Druck, gewissen Menschen, meinem Leben und Zweifeln... Die letzten Tage hatte ich wirklich das Gefühl, immer weniger Luft zu bekommen. Der Druck auf dem Herzen stieg und etwas um meinen Hals zog sich immer mehr zu.


Aktuell geht es mir solala. Bin momentan nur meine Körperhülle. Meine Probleme sind nicht hier und mein Einsamkeitsgefühl stimmt mit meiner Einstellung bzw. meinem Empfinden in dieser Metropolenstadt überein. Ich fühle mich einsam und bin ja auch hier ganz allein.


Und doch stimmt es. Weil Tatsache und Gefühl Einsamkeit in diesem Fall stimmen. Ich bin immerhin stolz auf mich, habe ich 8 Wochen ohne Einkaufen durchgestanden! Und umso mehr werde ich es morgen geniessen, wobei mir heute schon krasse Unterschiede zu meinem sonstigen Kaufverhalten im "Suchtmodus" aufgefallen sind. Ich gehe viel überlegter an die ganze Sache ran...


... und so hart es klingen mag: ich atme hier richtig auf und tief durch... so sehr ich die Schweiz schätze und meine halbe Heimat liebe... der Gedanke, zurück zu müssen in mein Alltag und Leben, erfüllt mich mit einem echt miesem Gefühl.

2 Kommentare:

  1. Liebe zambrottagirlie, ich hoffe, du kannst es in London geniessen, trotz allem...
    Ich muss dir schnell schreiben, weil ich vergangene Nacht von dir geträumt habe... Ich habe geträumt, dass ich dich live getroffen habe, keine Ahnung, weshalb, was der Grund war (Träume sind ja oft nicht gerade mit einem richtigen Geschichtenstrang, jedenfalls bei mir). Wir haben uns getroffen und hatten grosse Freude, dass wir uns kennenlernten. Finde es manchmal spannend, wenn man sogar von Menschen träumt, die man nur "virtuell" kennt. Aber wer weiss, vielleicht begegnen wir uns wirklich eines Tages!
    Herzliche Grüsse
    seastorm

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Liebe seastorm, finde ich ja echt beeindruckend :-). Ich habe gerade überlegt, ob ich auch schon von Bloggern geträumt habe... Müsste in meinen Posts recherchieren!

      Ich glaube, dass bei mir auch schon einmal serendipity vorgekommen ist, wobei ich sie ja vor zig Jahren mal kurz auch "live" getroffen habe. Aber das liegt bestimmt auch wieder zehn Jahre zurück.

      Genau, wer weiss, was das Leben für uns noch so bereit hält! Sag niemals nie!

      Ich wünsche dir eine ganz gute Zeit!
      Herzliche Grüsse
      zambrottagirlie

      Löschen