Donnerstag, 12. März 2015

unglückliche tage

Eigentlich würde ich hier gerne über ein paar Eindrücke und Erlebnisse von London berichten. Konnte noch schöne Grünanlagen mit meiner Handykamera festhalten und fand es wirklich eine gute Auszeit für mich. Wenn es auch nur ein paar Tage waren.
 
Aber bereits, als ich im Flugzeug über den Wolken sass und es langsam an die Landung ging, überkam mich dieses Gefühl der Traurigkeit. Sofort füllte es mich aus und ich hätte am liebsten - könnte ich es - im Cockpit Platz genommen und das Flugzeug in eine andere Richtung gelotst.
 
Ich liebe die Schweiz. Ich schätze mich glücklich über die Vielfalt, die wir hier haben. Sei es sprachlich, kulturell, landschaftlich und auch diese regionalen Spezialitäten und Gebräuche. Es ist ein Teil meiner Heimat. Ich bin hier aufgewachsen und von der Sicherheit, der Struktur und der Organisation (auch in Sachen soziale Unterstützung und Auffangnetze) her ist die Schweiz eines der besten Länder, welches ich bis jetzt kenne. Klar, der Schweizer an sich arbeitet hart und gönnt sich kaum etwas (immer Überstunden anstapeln und ja nicht zu viele Ferien gönnen!), vor allem auf eine gute Rente und Pension hin, was mir persönlich zu viel ist. Du schuftest jahrelang, um deine Altersrente gut sichern zu können. Gleichzeitig wirst du (leider nicht immer von der Gesellschaft) gut aufgefangen, wenn in früheren Jahren dein Leben aus den Fugen gerät. Und doch empfinde ich es hier noch oft so, dass du funktionieren musst und wer nicht hundert Prozent leistet, wird schnell abgestempelt. Geschweige denn von den Behördengängen, welche teilweise extrem langwierig und komplex sind und von diesem Papierchaos und diese hohen Briefstapel, welche dadurch entstehen. Aber auch das gehört dazu und wer die Vorgeschichte unserer Kassen kennt, weiss, warum nun so verstärkt kontrolliert und geprüft wird. Aber auch da besteht eine Gerechtigkeit, denn hat man Anspruch, wird man für den Überprüfungszeitraum ebenfalls rückwirkend entschädigt.
 
Und doch… meine Motivation ist noch weniger geworden, wie sie vor meinem Londontrip bereits war. Ist mir schlagartig im Flugzeug bewusst geworden und innerlich wurde mir dann auch klar, dass es kein schleichender Prozess mehr ist - und dies schon viel länger, als ich geglaubt habe, zu wissen. Es ist schon lange keine Antriebslosigkeit mehr - ich bin mitten im Strudel einer depressiven Phase. Und das bestimmt ein paar Monate. Ich hatte es kompensiert mit dysfunktionalem Verhalten. Positiven Gedanken. War aber bereits mitten im Kuchen gefangen. Unter anderem ist es mir klar geworden, weil die dunklen, schwarzen Gedanken seit London wieder auf meiner Schulter sitzen und mir Dinge zuflüstern, die mir Angst machen. Welche ich als bekämpft angesehen hatte. Die ich nicht einmal meinem ärgsten Feind wünsche.
 
Ich sass da und hätte am liebsten einfach geheult. Ich wollte einfach nicht zurück in die Schweiz und nach Hause. Einfach nicht zurück in diese Realität. In London war alles weit weg, ich musste keinen einzigen Gedanken daran verschwenden. Klar dachte man an die Lieben zu Hause, aber um die geht es nicht. Es geht um die Situation im Allgemeinen. Um das Wohlbefinden. Die Lebensumstände.
 
Ich war da in dieser grossen Metropolstadt - ganz allein. Stand in einer U-Bahn und (ich weiss, total grotesk, aber stimmig in diesem Moment) dachte mir beim Leute beobachten: ich bin alleine. In einer grossen Stadt. Niemand kennt mich. Meine Vergangenheit. Ich bin eine unter vielen. So schön unscheinbar.
 
Es war stimmig, weil ich allein war. Eine unter vielen. Niemand kannte. Einfach den Tag so gestalten konnte, wie ich wollte. Mit keinem einzigen positiven oder negativen Reiz von zu Hause angesprochen wurde. Schwer nachvollziehbar, vor allem, weil ich damit nicht die schönen Momente in meinem Privatleben mit Familie, Freunde und Bekannten meine. Das versteht kaum jemand - ich weiss. Aber ich stand wirklich da und dachte mir: in diesem Moment stimmt mein Eindruck, meine Selbstwahrnehmung und mein Gefühl überein. Ich bin allein - aber nicht so unglücklich, wie wenn ich zu Hause im Bett liege und mich dieses Gefühl der Einsamkeit überschwemmt. Denn in London war ich wirklich allein in diesem Moment.
 
So geht es mir auch in Italien - vielleicht daher die grosse Sehnsucht nach der zweiten Heimat. So war es in Berlin. So wird es mir noch oft ergehen, denn ich bin halt über ein Leben allein immer überzeugter. Ob man es gerne, freiwillig und ohne traurige Gedanken macht, lasse ich hier einfach mal aussen vor. Denn natürlich stimmt es mich traurig und ich hasse meine Person noch mehr dafür. Logischerweise hat man solche Gedanken nicht freiwillig und natürlich suche ich mir nicht bewusst ein Leben in der Einsamkeit aus. Aber die Tatsachen sprechen nun mal diese Sprache.
 
Ich bin noch trauriger, wie sonst schon. Ich treffe mich mit Menschen und geniesse die Momente bewusst, kann sogar teilweise komplett abschalten - um später in ein noch tieferes Loch zu fallen. Kann mir einfach nicht vorstellen, dieses Leben weitere 50 Jahre so bewältigen zu müssen. Meine üblen Gedanken sind wieder da und ich möchte einfach nur noch schlafen, abhauen und weit weg ganz einsam irgendwie mein Leben leben. Klar, ich habe mein Leben in der Hand, aber ich habe mir meine depressive Seite nicht ausgesucht. Und die letzten Monate ging es ja ein wenig besser - dachte ich. Aber all die Umstände, Geschehnisse und einfach dieses Wissen, ein LEBEN LANG einfach immer mehr wie andere kämpfen zu müssen, wird mir einfach zu viel. Ich kann es mir schon gar nicht mehr vorstellen, wie es ohne Diagnose, Selbstverletzung, Suchtverhalten, Probleme, Rechtfertigungen, Stress etc. sein soll.
 
Die letzten Wochen musste ich mich wieder mit meinem Körper auseinandersetzen, was bestimmt nicht förderlich war für meinen Gemütszustand. Ich bin korpulent, ja. Aber habe doch wieder viel zugenommen - fühle mich unwohl. Es könnte weniger sein. Und doch kleide ich mich bunt, freue mich auf den Frühling und war beim Coiffeur - Rundumerneuerung. Erhalte viele Komplimente für meinen Kleidungsstil bei einer Grösse von 48/50 (möchte eher wieder Richtung 46/48) und für meine Frisur. Und genau das hat mich so zurückgeworfen, denn ich habe da ja so ein Handicap, welche für viele Menschen die Weiblichkeit schlechthin darstellt. Und ich musste für einen Tag auf mein Hilfsmittel verzichten und stand einfach nur noch heulend vor diesem Spiegel, weil ich sah, wie es sich verschlechtert hatte. Das kann nur eine Frau verstehen, die das gleiche durchmacht. Weil man nicht einfach zum Arzt kann, und Medikamente verschrieben erhält. Weil die Medizin keine Mittel hat und eine OP nur 10 Jahre garantiert, wenn überhaupt. Weil es bei Chemo-Patientinnen als „angepasst“ beurteilt wird, aber nicht bei eigentlich gesunden, wie mir. Und damit habe ich schon wieder zu viel über dieses Thema preis gegeben, als mir lieb ist. Weil ich halt lange darüber beneidet wurde. Und ja, weil ich nun ganz genau weiss, mich erst recht nie einem Mann öffnen zu können, weil es mich einschränkt. Weil ich mich vor mir ekle. Weil ich mich schäme und weil ich mich NIE im Leben jemandem öffnen werde, der es nicht bereits weiss. Und erst recht keinem Mann gegenüber! Und das sind mein Mami, Alina und Pupa.
 
Ich habe die letzten Tage viel (heimlich) geweint. Bin enorm traurig, lust- und kraftlos. Mag einfach nicht mehr. Frage mich nach meinem Sinn im Leben und bin es leid, mich zu sein bzw. dieses Leben bewältigen zu müssen. Will einfach weit weg. Nichts hören, nichts sehen, nichts fühlen. Einfach mein Leben, welches ich für mich vorgesehen habe, geniessen. Und nicht diesen Kampf führen. Nicht diese dunklen, schwarzen Gedanken ertragen und diese gemeinen Stimmen hören müssen.
 
Ablenkung tut gut, ja, ich weiss. Alles in der Therapie gelernt. Daher werde ich hier auch noch die Fotos veröffentlichen und privat weiterhin etwas unternehmen. Aber dieses schwarze Loch, welches überall auf mich wartet, sobald ich alleine bin, ist mir einfach zu viel. Viele unter uns vergessen, dass es nicht von heute auf morgen besser wird und psychisch kranke Menschen ein Leben lang kämpfen müssen.
 
Nebst den Suizidgedanken (jetzt habe ich es klar ausgesprochen, gehört auch dazu! Muss mir den Ernst der Lage bewusst werden!) habe ich seit London enorm grosse Lust, an mir herumzuschnipseln. Ich sehe meine blassen  Narben an meinen Oberarmen, welche zum Glück kaum erkennbar sind, weil ich es immer mit der Schere gemacht habe. Einerseits möchte ich Shirts im Büro tragen, mein Glück wegen den Narben nicht herausfordern. Vor allem, weil es nun bald ein Jahr ohne ging. Andererseits ist da dieser Teufel, der immer wieder sagt, dass ich doch eh nie anders können werde...

Ich denke, zusätzlicher Auslöser war der Montag. Da ging es in der Therapie um meine Einkaufssucht und meine Therapeutin hat doch ein paar scharfe und harte Fakten auf den Tisch gebracht. Ich ging da raus und dachte mir, dass ich wohl nie anders können werde in meinem Leben. Dass ich ein abgrundtief schlechter Mensch bin und wohl Gutes in meinem Leben einfach nicht verdient habe. Was es bewirkt hat? Ich weiss, ich bin erwachsen und alt genug, aber es gab einen ordentlichen, bewussten Frustkauf.

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