Samstag, 19. November 2016

nachdenklich

Morgen findet für meine verstorbene Firmgotte eine Art Gottesdienst statt. Mein Onkel möchte daraufhin anscheinend den Baum pflanzen gehen. Ein Symbol für ihn. Ich glaube, sogar ganz in der Nähe, wo sie sich für den tragischen und grausamen Suizid (sorry, aber Freitod klingt für mich für diese Variante einfach zu harmlos) entschieden hat.

Ich habe morgen den ganzen Tag über ein Volleyballturnier und habe da schon lange zugesagt. Wir sind sonst schon knapp an Teilnehmer und ganz ehrlich - so schrecklich es nun klingen mag - ich bin fast erleichtert, habe ich diesem Turnier zugesagt.

Ich habe mein Firmgotti geliebt, sonst hätte ich sie ja nicht gewählt. Und ich vermisse sie stark und ja, sie ist teilweise ganz böse mit mir als Kritiker. Sie erscheint mir immer noch. Aber ich weiss, wie sie auch anders sein konnte und ich selbst habe sie nur als diesen liebenswerten, warmherzigen Menschen gekannt, der keinem Menschen etwas zu Leide tun konnte.

Mir ist eine Entscheidung abgenommen worden. Ich selbst möchte nicht in die Nähe vom Ort kommen, wo sie sich für diesen grausamen Weg entschieden hat. Auch, wenn sie es in diesem Moment nicht selbst war... aber ich kann das einfach nicht. Ich werde auch nie wieder in das Haus gehen können, in dem sie zuletzt gelebt hat. Mit meinem Arbeitsmutti bin ich mal ganz nahe zum Dorf gekommen, wo mein Onkel und meinte Tante mit meiner Cousine gelebt haben. Es waren vielleicht 500 Meter. Es war nach ihrem Suizid und wir mussten da ganz nahe heran, um weiter nach Singen zu gelangen. Und mein Herz hat sich so grausam verkrampft und meinem Arbeitsmutti war es so gar nicht recht.

Und ein Baum pflanzen... Es muss für meinen Onkel stimmen. Es war seine Ehefrau, seine grosse Liebe. Es muss für ihn stimmen. Und ja, ich selbst habe ja auch einen Baum in der Nähe als Zufluchtsort für Grossdäddi und mein Firmgotti ausgesucht. Ich liebe Bäume. Bäume geben mir so viel. Aber Leben dort pflanzen, wo sich jemand bestialisch das Leben genommen hat? Sehr schwer vereinbar für mich. Aber eben, es geht dabei nicht um mich.

Und so ist mir eine Entscheidung genommen worden. Denn ich wäre zum Gottesdienst gegangen, obwohl es sich nicht richtig für mich angefühlt hätte. Weil ich Angst vor dem schlechten Gewissen danach gehabt hätte. Weil ich das Gefühl gehabt hätte, mich gegen mein Firmgotti entschieden zu haben.

Und doch stimmt es mich nachdenklich. Aktuell geht es mir nicht wirklich gut und dies schon lange. Alle fragen natürlich, was mit meinem Unterarm los ist und nur ich kenne die Antwort. Und natürlich bin ich nicht stolz dafür, dass ich in meinem Erwachsenenalter nach zweieinhalb Jahren diesen Schritt mal wieder gemacht habe. Ich selbst weiss, wie stark ich bin und wie normal ich mein Leben bewältige. Wie normal mich die anderen auffassen und wie alltäglich mein Leben gegen aussen scheint. Und ja, es ist oft ein Segen, so "normal" gesehen zu werden. Da habe ich in meiner Karriere in Kliniken und Therapiegruppen ganz andere Menschen kennen gelernt. Und obwohl es manchmal schwer ist, diesen Stempel offensichtlich zu erhalten - teilweise wünsche ich mir, dass man eher sehen würde, dass es nicht einfach für mich ist. Vielleicht würde es einige Menschen wachrütteln. Aber die traurige Wahrheit dieser Gesellschaft ist, dass die Menschen sich dann eher abwenden. 

Ich freue mich auf Italien. Meine Heimat. Meine Flucht. In wenigen Wochen ist es soweit und ich kann es nicht erwarten. Die nächsten zwei Wochen werden Horror und ich befürchte, dass ich dies an meinem Unterarm wieder auslasse. 

Eine bekannte Schauspielerin hat sich mit 52 das Leben genommen. Ein Bekannter meiner Familie hat sich mit knapp 70 grausam das Leben genommen. Mein Firmgotti war etwas über 50. Und Pupa? Ist 40. Und natürlich mache ich mir da Sorgen, dass ich nie "normal" leben werden könne. Dass Depressionen und Selbsthass und Selbstzweifel und diese Wellen des Lebens immer da sein und mich herausfordern werden. Dass sich das Leben immer eher wie ein Überlebenskampf wie ein Leben anfühlen wird. Das ich diese Therapie für nichts mache - weil es kein Entkommen gibt. Ja, oft sage ich mir selbst: wie naiv bist du eigentlich? Was machst du dir da vor? Es wird nie einfach und gut sein! Nicht bei dir!

Und ganz ehrlich... warum nicht jetzt gehen, bevor es weiter geht mit Mann und Kinder? Wobei ich ja selbst bezweifle, dass dies je der Fall sein wird. Aber was, wenn es doch irgendwann einmal Kinder geben wird? Ich sehe es ja bei meiner Cousine. Ich möchte nicht das Mami sein, welches sich für den Freitod entscheidet. Solche Gedanken beschäftigen mich aktuell sehr.

Ich bin nicht sicher, ob das Volleyballturnier morgen Ablenkung mit sich bringen wird. Ein ganzer Tag mit Puma. Am Dienstag hatte der - glaube ich - nicht wirklich Freude an einer Antwort von mir. Wir spielten im Team, wie wir es morgen machen. Wir standen also da und ich sagte: "für mich stimmt das so, isch tiptop für mich." Da machte er neben mir (ich hatte ihn nicht bemerkt): "ah, es stimmt für dich, wenn ich rechts fu dir stoh?" Ich sah ihn an und er grinste mich an. Am liebsten hätte ich ihm eine geklatscht. Und ich dachte mir, dass er dies nicht mit mir machen könne und meinte nur: "Neii, ha eher gmeint, dass es für mich stimmt, wenn d'Laura mir so gegenüber stoht". Danach war Funkstille. Ich glaube, ihm ging der Laden runter.

So, nun sind meine Beine eingeschlafen. Schila liegt über meine gekreuzten Beine, während ich hier tippe. Ich muss über sie langen und meine Arme sind dementsprechend warm und mein Shirt bald klitschnass verschwitzt - ui.

Ach, noch ein paar Bilder der tollen Landschaften in der letzten Woche. Teilweise echt einfach nur wunderschön anzuschauen. Und einmal mehr schätze ich mich glücklich über meine Familie. Schila ist unheimlich anhänglich und als mein Wagen anfangs Woche das Gefühl hatte, zu bocken, durfte ich das tolle, aufgemotzte und aus dem Auspuff röhrende Auto ausleihen. Ich habe einfach schon einen verdammt guten Bruder :-). PS: die zwei unteren Bilder sind mein Nachhauseweg - wenn es schön Wetter ist und nicht schneit. Eine wirklich tolle, kurvenreiche Strecke, mitten durch das Land.



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