Donnerstag, 25. Februar 2016

plötzlich für immer weg

Es ist schon noch happig, wenn man bedenkt, dass man gefühlt "gestern" noch mit jemandem am Telefon gesprochen hat, und die Person "heute" für immer verstummt ist.

Mein Bruder hatte Dienstag Geburtstag. Da hatte ich betreffende Person noch kurz am Telefon. Gestern dann habe ich erfahren, dass sich diese Person das Leben genommen hat.

Klar, für mich ist es so oder so ein herber Schlag. Vor allem, weil diese Person auch jahrelang depressiv war und starke Medikamente gegen Depressionen und Schlafstörungen genommen hat. Das wirbelt viel auf.

Es war ein Schock für mich, als ich den Status meiner Schwester gelesen habe, als ich gestern Mittag nach Hause kam und meine Kontaktliste auf WhatsApp aktualisierte. Sie hatte lediglich ein "R.I.P." und ein trauriges Smiley. Sofort rief ich natürlich Muddi an und schon als sie das Telefon abnahm, wurde es noch schwerer um mein Herz. Ein fetter Kloss sass in meinem Hals.

Ich wollte nur von ihr hören, dass es nicht Grosi oder Nonna waren. Jemand von der Familie. Babbo, meine Geschwister oder eine alte Frau, welche uns seit Jahren Kuchen backt. Und doch: es ist ein naher Bekannter meiner Eltern. Sie waren oft sonntags bei uns. Er spielte italienischen Jass mit meinem Vater, seine Ehefrau hatte sich UNO von uns beibringen lassen.

Er hatte seine Phasen, war teilweise wirklich an Tiefpunkten angelangt. Aber irgendwie war er halt doch ein enger Freund meiner Eltern. Und in Italien standen sie auch immer zur Stelle, wenn ich mal in Nöten gewesen wäre. Wir Kinder kannten ihn alle von klein auf.

Am Telefon wollte ich noch wissen, ob es ein natürlicher Tod war. Mein Mami meinte nur, dass wir dies zu Hause besprechen würden. Ich war einer Panikattacke nahe.

Es gab Probleme bei ihren Auswanderungsplänen. Es war einfach zu viel für den Mann und verantwortlich mache ich da die Haie in Italien. Es ist wirklich viel schief gelaufen bei verschiedenen Verträgen und Beträgen. Es gab für ihn einfach keinen anderen Ausweg, als sich selbst das Leben zu nehmen. Schlimm: seine Frau hat ihn in der Wohnung so vorfinden müssen, sie war lediglich für eine halbe Stunde einkaufen gewesen.

Sie hat sich gestern stark gegeben und ich denke, sie hat es noch nicht ganz realisiert. Sie wohnt nun ein paar Tage bei uns, bis es nächste Woche nach Italien geht. Er möchte dort beerdigt werden. Sie steht unter Schock, gibt sich lebensstark und hat dann immer wieder Einbrüche. Es tut mir leid für sie. Vor allem, weil sie erst schwere Chemos hinter sich gebracht und eigentlich wieder ins Leben zurückgefunden hat seit etwa sechs Monaten.

Meine Mutter meinte, dass dieser Mensch nun hoffentlich seinen Seelenfrieden gefunden hat. Klar, wenn man seine Lebensgeschichte so mitbekommen hat. Aber auf der anderen Seite befürwortet man doch so jeden Suizid. Auch ich denke ja oft, dass ich meinen Seelenfrieden vielleicht nur durch einen radikalen Schritt - den Selbstmord - finde. Muddi merkte, dass es mich halt doch noch ein wenig mehr mitnimmt. Ich habe diese Nacht kaum geschlafen, ständig dieses Kopfkino und diese Erinnerung an meine eigenen tiefschwarzen Phasen und diese anstrengende Phase aktuell seit über einem Jahr, wenn nicht bald wieder zwei. Ich habe hautnah miterlebt, was ein Suizid bei eng und nahe stehenden Personen auslöst. Seine Ehefrau war gestern noch mit Telefonaten nach Italien beschäftigt und gewisse Familienmitglieder waren schon fast wütend auf den Verstorbenen. Montag findet die Trauerfeier in der Schweiz statt, bevor er für die Beerdigung nach Italien transportiert wird. Zum Glück bin ich dann noch nicht in London. Für mich ist klar, dass ich ihm noch die letzte Ehre leiste.

Ich weiss nicht, wie ich es benennen soll. Ich bin erschüttert. Ganz klar. Aber da war auch die Erleichterung, als ich eine Erklärung für meine dummen Träume hatte. Seit etwa sieben bis zehn Tagen träume ich von Mord und Totschlag. Immer stirbt jemand oder ein Mann möchte mir etwas richtig Böses. In den Träumen begebe ich mich oft in gefährliche Situationen und komme schlimmen Menschen nur knapp davon. Oder muss mit ansehen, wie andere einfach so erschlagen werden. Ich hatte fürchterliche Angst. Vor allem habe ich diese Träume sofort Muddi erzählt. Da bin ich schon abergläubisch. In Italien sagt man sich, dass Träume, welche erzählt werden, nicht in Erfüllung gehen.

Und doch hatte ich täglich Angst, dass meiner Familie etwa zustossen könnte. Denn ohne angeben zu wollen: ich hatte schon einmal einen Unfall "vorausgeahnt" und ja, ich glaube schon, dass ich da sehr sensibel und "gspürig" dafür bin.

Was bleibt ist doch eine Leere. Man wird sich bewusst, dass man nie wieder mit dem Menschen sprechen wird. Nie mehr einen Blick austauscht. Nie mehr zusammen lacht. Sich nie mehr begrüsst und in Italien nie mehr am Strand zusammen einen Nachmittag verbringt. Und auch ich werde nie mehr einen italienischen Jass mit diesem Mann spielen.

Es stimmt: es gibt Situationen im Leben, da werden gewisse Momente zu Erinnerungen.

Ich hoffe wirklich für ihn, dass er (er war noch so jung, wäre erst 70 geworden dieses Jahr) nun seinen Frieden gefunden hat. Und wenn es dann soweit ist, seine Ehefrau freudig wieder im Paradies in die Arme schliessen kann.

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