Freitag, 24. April 2015

strapazierte nervenbände

Es gibt Menschen, mit Nerven aus Stahl. Es gibt jene, welche von Zeit zu Zeit anfällig sind. Andere können gar nicht damit umgehen und einige verdrängen es. Ich gehöre eher zur letzteren Selektion.
 
Ich schlucke viel. Viel an Ärger. Viel an Wut. Viel an Verzweiflung. Ich bin eher der Mensch, der einfach schluckt, sich vieles denkt und dann irgendwann einmal explodiert. Es muss nicht immer so sein, das kennt ja auch jeder. Es gibt Tage, an denen sage ich meine Meinung normal und anständig. Dann gibt es Tage, an denen ich einfach nur genervt bin und dementsprechend nörglerisch antworte und dann gibt es Tage, an denen ich gar nichts sage. Stumm  bleibe. Meist. Oder dann wirklich meine Meinung losposaune.
 
Ich bin so erzogen worden. Mädchen sind lieb, nett, zuvorkommend, anständig. Als Teenie mit Borderline (das weiss man ja natürlich noch nicht zu dem Zeitpunkt) waren meine Gefühlsausbrüche natürlich enorm. Ich fühlte mich ständig ungerecht behandelt, brach vom einten Extrem ins andere raus und ja, ich selbst musste dann irgendwann eingestehen, dass ich von 15 bis 17 kein einfaches Kind war. Aber sind nicht alle irgendwann ein wenig rebellisch?
 
Irgendwann einmal habe ich gelernt, dass „auf den Mund hocken“ sehr viel an Schutz bietet. Egal, in welcher Lebenslage. Man ist in diesem Moment in einer Gruppe fast „unsichtbar“ und dadurch, das man sich nicht meldet, auch nicht verletzbar. Man bietet keine Angriffsfläche und muss sich keinen Fragen stellen. Egal, ob es positive wie negative Situationen und Gespräche sind. Irgendwann ist man dann automatisch der Zuhörer. Die ruhige, introvertierte und doch angenehme Person.
 
Ich posaune auch jetzt nicht gern mit meinem Innenleben. Ich habe vieles wirklich immer in mich reingefressen, obwohl um mich herum immer gesagt wurde, ich solle mich doch mehr öffnen und über meine Sorgen sprechen - aber das ist ein anderes Thema. Da sind vielleicht meine Erwartungen mit im Spiel, welche in den eigenen Augen nicht erfüllt werden und schlussendlich bleibt man dann natürlich umso enttäuschter zurück. Der Gegenüber weiss ja nicht, was ich genau erwarte - ist mir in der Theorie alles bewusst. Aber doch bin ich wieder jemand, der das offen kommuniziert. Ich sage, dass ich vielleicht andere Erwartungen habe. Ich sage, dass es mir JETZT schlecht geht und das ich JETZT sprechen muss, und nicht irgendwann. Und ja, ich weiss auch, dass dies schwierig ist für andere. Das man den Umgang damit nicht als Zuckerschlecken abhaken kann. Fakt ist aber, dass ich dann zurück bleibe und mir  dann wieder denke, dass ich vielleicht wieder besser nichts von mir preisgeben werde in Zukunft. Das ich mich selbst schützen muss. Und andere.
 
Was wollte ich hier eigentlich noch genau berichten :-)? Faden ist verloren gegangen, haha!
 
Fakt ist einfach: es ist mir in letzter Zeit definitiv zu viel. Und ja, überall hört man die Ratschläge, dass man reden soll, sich ablenken soll, darüber hinwegsehen soll. Und ja, innerlich sehne ich mich nach meiner Auszeit. 10 Wochen einfach weg. Nicht nur 1400 Kilometer weg in Italien, sondern wirklich tausende von Kilometer weg. Räumlich wie auch bildlich weit, weit, weit, weit weg. Ich weiss, Zwischenmenschlichkeiten sind nicht einfach, aber mir ist es teilweise einfach wirklich zu viel. Ich finde es anstrengend, ständig darauf achten zu müssen, es allen recht zu machen. Selbst muss man einstecken und sobald man sich mal traut, etwas zu äussern, dann wird man von allen Seiten bombardiert. Und glaubt mir, ich habe es in einem normalen, anständigen Ton gesagt. Ich weiss, ich kann sehr impulsiv sein - vor allem, wenn es mir wirklich einfach alles zu viel wird. Und doch weiss ich auch, wie ich mit Menschen im Umfeld umgehen muss, die nicht zu meinem Mami, Papi und meinen Geschwistern gehören. Jeder Mensch zeigt engsten Vertrauten ein ganz anderes Gesicht wie bei  Freunde, Bekannten, Mitarbeitern etc.
 
Mir geht es darum, dass du kritisiert und angegriffen wirst, sobald du mal „nicht funktionierst“ in Augen anderer. Dann stehen sie sofort alle auf der Matte und drücken ihre Finger in deine Wunden. Es geht mir auch nicht darum, immer gelobt, gehätschelt und gepriesen zu werden, wenn mal alles funktioniert. Aber es wird als selbstverständlich hingenommen, bis du mal nicht nach Schema F funktionierst. Und dann geht das Gewitter los.

Ich selbst weiss doch, wie anstrengend es sein kann. Ich erwarte keine Meisterleistung von Aussenstehenden. Hei, ich muss tagtäglich damit leben und doch lernen, dass ich nicht das Symptom bin, sondern Eigenschaften davon mein Handeln übernehmen. Ich muss daran arbeiten. Ich allein. Und daher habe ich auch begonnen, vieles zu kommunizieren. Vor allem möchte ich meinen Mitmenschen zeigen, dass ich auch über mich, meine Art, meine Handlungen reflektiere und nicht einfach sage: "ich bin nun mal so, lernt damit umzugehen!". Nein, genau so bin ich nicht. Ich versuche immer zu erklären, warum ich in einer Situation wie reagiere. Habe Geduld. Erkläre wieder. Und dann passiert etwas und was ist? Ich achte so auf meine Mitmenschen und werde dabei von diesen vergessen. Wie soll ich das an einem Beispiel erklären...

Das ist jetzt sehr intim. Aber ich hatte schon immer das Gefühl, dass mein Vater mich weniger mag, wie meine Schwester. Und in letzter Zeit habn sich die Anzeichen angehäuft. Ich habe meiner Mutter mal gesagt, dass ich mich schuldig fühle, als Last für sie und als Versagerin. Und auch, dass mein Vater mir mal mit 21 - vor ich in Therapie war und alles losging - etwas à la "wer dich auch immer haben wollte!" geknallt hatte. Natürlich war ich danach total verstört und seit dem Tag in ich einfach überzeugt, dass mein Vater mich nie haben wollte. Und eben, wie oben beschrieben, zeigt sich dies oft in seinem Verhalten mir und meiner Schwester gegenüber. Es gab eine Sache anfangs Jahr, in der ich anscheinend anders reagierte, wie Mami es erwartet hatte. Und da platze alles aus mir heraus. Ich erklärte unter Tränen, was in mir vorgeht. Gut, Sache abgehandelt. Letztens war wieder ein ähnlicher Auslöser und ich meinte nur zu Mutti, ob sie vergessen hätte, was ich über Papa etc. gesagt hatte. Sie war ahnungslos. Und ja, ich weiss, jeder Mensch hat seine Probleme, viel an Infos  im Alltag und ist vergesslich. Aber in diesem Moment schüttelte ich einfach resigniert den Kopf und winkte ab. Dann blocke ich knallhart. Dann muss man nicht mit mir darüber reden wollen. Daher auch meine Einstellung, dass ich einfach nichts mehr dazu sage. Was kann ich mehr, wie mein Verhalten versuchen zu erklären und kommunizieren? Meine Bedürfnisse zu äussern? Und das ist nicht nur mit Mama so. Schlusendlich mache ich es ja weniger für mich. Ich mache es, wie so oft, für andere und zu derer Entlastung. Aber wozu, wenn es untergeht. Es führt nur dazu, dass ich Erwartungen habe, die nicht erfüll werden und das Gefühl, das ich nicht wichtig bin.

Und ja, für mich ist es anstrengend. Etliche vergessen, dass ich mit der Diagnose Borderline klarkommen musste, immer noch muss und dazu auch ein enormer Selbsthass, Selbstzweifel und andere Probleme bereit stehen. Ich war etliche Monate arbeitslos, obwohl jung und sehr gute Ausbildung geniessend. Ich war an einem Stück fast zwei Jahre zu Hause - alleine. Alle um mich herum hatten ihre Arbeit, ihre Aufgaben, kamen heim und erzählten davon. Was hatte ich gemacht? Haushalt, Mutter unterstützt, Hund gelehrt. Nicht abwertend gemeint, ich bewundere all die Hausfrauen, welche das mit einem Job zusätzlich meistern. Aber sie sind dann Mütter und haben sich irgendwie für diesen Weg entschieden. Ich dazumal nicht. Es war wirklich eines der beschissesten Gefühle, die man sich so vorstellen kann. Man fühlt sich wirklich wertlos und unwichtig in der Gesellschaft. Und nein, es bekommt nicht jeder, der will, Arbeit. Ich habe intensiv gesucht, auch andere Branchen, war in etlichen Kursen und Praktiken - da lasse ich mir nicht dreinreden.
 
Klar ist es da schwierig, sich wieder auf das Zwischenmenschliche einpendeln zu müssen. Aber schon wieder zu weit abgedriftet :-).
 
Mir ist es einfach zu viel in letzter Zeit. Ich merke, wie ich einfach alles schlucke. Teilweise setzte ich mich für mich selbst ein, dann winke ich mal einfach wieder resignierend ab und denke mir, dass Amerika endlich kommen soll. Dann bin ich nämlich weg und nicht innerhalb weniger Stunden wieder erreichbar. Und ja, vielleicht lernen Menschen dich dann wieder wertschätzen und vermissen. Denn da steht wahrhaftig ein Ozean zwischen mir und anderen. Und ja, vielleicht wird auch mir wieder vieles bewusst(er). Das ist mir alles bewusst. Ich kämpfe und funktioniere nur noch für Amerika. Und das ist in meinen Augen ein Armutszeugnis. Den das Schlimmste Gefühl an dem ganzen ist die Einsamkeit und das können wirklich nur Menschen nachempfinden, die wissen, wie es sich anfühlt, alleine ins Kino gehen zu müssen, weil alle verplant sind und keine Zeit für einen haben. Die einfach nicht verstehen können bzw. glauben können, dass man wirklich niemanden hat.
 
Am liebsten würde ich dann einfach nur losheulen. Geht aber nicht. Es ist wie blockiert. Ich kann  nicht mehr weinen. War immer die starke mit der Maske. Und irgendwann einmal ist man leer. Verarbeitet es auf seinen Plattformen. Man kann vieles akzeptieren und dazu war ich in den letzten Jahren enorm gezwungen. Ich zähle nicht mehr alles auf. Langjährige Verfolger wissen das meiste. Irgendwann fragt man sich einfach, was man in seinen früheren Leben verbrochen haben muss, um so bestraft zu werden. Klar, andere haben es schlechter, ich weiss. Aber ich bin nicht andere und sorry - mittlerweile musste auch ich lernen, dass ich mir selbst am nächsten stehe und meist auf mich allein gestellt bin.
 
Man gibt sich irgendwie auf. Funktioniert. Tut etwas für die Therapie, setzt sich neue Ziele, gibt sich Mühe. Knallt hin, steht auf, wischt sich den Dreck ab und macht irgendwie weiter. Aber innerlich wäre es einem egal, wenn das alles gewesen wäre. Innerlich möchte man nicht alt werden und innerlich möchte man nicht mehr kämpfen. Man fühlt sich bestraft, missverstanden, allein. Ich bin froh, habe ich meine Familie um mich. Es würde mich sonst nicht mehr geben. Und ich habe wirklich Angst davor, auszuziehen und jeden Tag in eine verlassene Wohnung zurück zu kehren. Allein.
 
Und nun komme ich endlich auf den Punkt - ist irgendwie mit mir durchgegangen. Ich glaube, in mir steckt Vieles, was eigentlich raus möchte, aber nicht kann. Weil ich das Gefühl habe, mich zu wiederholen. Weil es dann bewusster wird. Weil ich es dann schreiben, empfinden und lesen muss.
 
Ich bin aktuell in der Physio für meinen Meniskusriss. Kaum die ersten zwei Lektionen hinter mir, meint sie, dass ich total verhärtete Muskeln hätte. Das komme wahrscheinlich von einer inneren Anspannung. Dann haben wir eine Übung gemacht, in der ich grade dastehen solle. Ich machte und meinte „so stehe ich in meinen Augen gerade“. Es kam ein „Tut mir leid, zambrottagirlie, aber schau, so würdest du gerade stehen“. Man lässt sich hinbiegen, schaut in den Spiegel und könnte Heulen. Mein Körper sagt mir, ich stehe schräg - der Spiegel spricht eine andere Sprache. Meine Nerven sind so am Ende, dass ich nach der Zeit aus dem Physioraum ging, ins Auto stieg und einfach nur losheulte. Na toll, zambrottagirlie kann nicht mal gerade stehen!
 
Und letzten Mittwoch ein weiterer Schlag. Wahrscheinlich habe ich nach meiner RückenOP letztes Jahr eine Fehlhaltung eingehalten, denn sie meint, dass der Rücken vielleicht auch Einfluss darauf hat, wie ich sitze, stehe und gehe à daher auch vielleicht vermehrte Knieprobleme. Ich sass nur da und schüttelte den Kopf. Heulte natürlich nicht vor ihr, aber innerlich war mir einfach klar, was jetzt kommen würde: Lebenswandel und Gewicht. Und dann zerplatze ich innerlich, weil meine Schwester mindestens 50 Kilo mehr wie ich drauf hat, aber keine einzigen Knie- oder Gelenkprobleme. Sie ist einfach wirklich ein sturer Grind und so was von egoistisch. Ich das genaue Gegenteil und werde bestraft. Man will natürlich niemandem etwas Böses, aber in solchen Situationen gehe ich innerlich an die Wände.
 
Ich sass auch letzten Mittwoch wieder im Auto und hätte am liebsten nur noch Wasserfälle geheult. Klar, es ist keine persönliche Kritik und wir arbeiten ja daran. Ich wurde nicht angegriffen und meine Physiotherapeutin kann es nicht wissen. Sie weiss natürlich nicht, dass ich mir, seit ich 13 bin, anhören muss, dass mein Körper schief ist. Immer war es der Rücken und mein Buckeli. Ich war noch vor meiner  Teeniezeit, unerfahren, nicht entwickelt. Aber immer hiess es, ich stünde schief. Und es ist ja nicht so, dass ich mich für meine Art und mein Wesen liebe, das ist ja kein Geheimnis mehr. Mein Selbsthass ist stark und mein Selbstbewusstsein eher niedrig ausgeprägt. Das war die letzten Jahre wirklich nicht sehr hilfreich. Man verachtet sich für seinen Körper. Das er schief ist. Das er nicht funktioniert. Ständig  etwas zu meckern hat. Obwohl man weiss, dass er einen noch viele Jahre tragen sollte und man daher lieb sein sollte.
 
Und dann stehe ich wieder an dieser dunklen Spirale, die mir sagt, dass ich so bestimmt keine weiteren 40 Jahre hinter mich bringen möchte. Mich bestraft fühle. Den Sinn meines Daseins nicht verstehe und einfach alles zu  viel wird.
 
Bis der nächste Tag anbricht und es irgendwie doch geht - bis das nächste Häufchen bei mir abgeladen wird.
 
PS: mir ist bewusst, ist jeder für sich selbst verantwortlich. Und ich bin selbst- und eigenständig. So ist es ja nicht. Und doch bin ich ein Mensch mit Schwächen. Jeder sieht es anders, jeder gewichtet es anders, jeder geht anders damit um. Und vieles sucht man sich im Leben nicht aus. Keine Diagnose und keine RückenOP. Es gibt Dinge, die wünsche ich nicht einmal meinem ärgsten Feind. Die RückenOP war ein sehr einschneidendes Erlebnis und ich bin überzeugt davon, dass ich noch lange nicht alles verarbeitet habe. Gegen aussen gebe ich mich stark, aber innerlich habe ich wohl zu viel einfach Dinge runtergeschluckt und in einer Schublade unverarbeitet vergraben. Es waren höllische Schmerzen, ich habe mir kaum Zeit bei der Genesung gelassen und forderte viel zu schnell viel zu viel von mir und meinem Körper und Geist. In dieser Zeit war ich oft allein und ich glaube, Menschen vergessen, dass jedes einschneidende Ereignis vieles bei der Person ändert.
 
In diesem Post ist wieder vieles mit mir durch. Scheint wirr und nicht gerade logisch. Kein Wunder, ich fresse wirklich viel in mich rein. Und kaum gibt man diesem Druck ein kleines Ventil, macht es nur noch "pffff" un alles sprudelt heraus. Oft denke ich dann, ob ich alles löschen und sein lassen soll. Auf der anderen Seite denke ich mir: nein. Denn es sind Dinge, die mich beschäftigen. Dinge, die raus müssen. Dinge, die ich verarbeiten sollte. Dinge, die da sind, welche aber von mir weit weggesperrt werden. Jeder Mensch ist anders - und das wird leider oft vergessen. Wie auch die Tatsache, dass wir Menschen und keine Roboter sind.
 
Auf der anderen Seite denke ich mir dann oft: so bist du nun mal, zambrottagirlie. Und es gibt Menschen, die dich genau wegen dieser Art schätzen. Auch ich habe meine guten Seiten und guten Tage. Und vor allem: ich stehe immer wieder auf und gebe mein Bestes. Obwohl ich jedesmal von einer Wand abpralle und mich kopfschüttelnd frage, warum ich das mir weiterhin antue. Und vor allem, für wen. Denn für mich selbst eigentlich nicht - dafür ist der Selbsthass einfach zu gross. Und doch möchte man seine Eltern nicht verletzen. Denn ich denke, der Verlust des eigenen Kindes - egal welchen Alters - ist für Mutter und Vater etwas vom Schlimmsten.

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