Dienstag, 5. November 2013

standpunkt benennen

Ich muss mich mal wieder - wohl oder übel - mit meinem momentanen Gemütszustand auseinandersetzen bzw. meinen Standpunkt festsetzen. Es kann so nicht weitergehen.
 
Klar, eine Zeit lang geht es "gut". Man verliert überall ein wenig die Kontrolle und hofft, dass der Verstand irgendwann einmal wieder einsetzt. Aber ich bin im Moment so ohne Gehirn unterwegs, echt abnormal :-(. Und ich weiss nicht, was ich will. Es fühlt sich einfach leer an, ich fühle mich leer, bin ständig müde und kann mich zu nichts aufrappeln.
 
Vor allem kann ich mich selbst nicht mehr sehen. Und da schellen doch alle Alarmglocken. Klar, in letzter Zeit war es im Allgemeinen eher wieder etwas strenger für mich, aber ich hatte immer noch diese Momente mit Lebensfreude, bin trotzdem aus dem Haus, hatte mich trotzdem unter Kontrolle, machte mich trotzdem zurecht und versuchte trotzdem, das Positive noch zu sehen.
 
Ich bin seit genau einer Woche einfach noch total gleichgültig eingestellt.
 
Und das macht mir Angst.
 
Ja, ich habe überall nachgelassen. Habe wirklich zu viel FastFood in mich reingestopft, fühle mich noch unwohler, bin kaum vor die Haustür, habe fast jeden Tage geshoppt und ja - so hart es klingen mag, aber es gehört leider auch zu meinem Leben und ich hoffe, dass diese Scham, mich diesem zu stellen bzw. diese Worte in den Mund nehmen zu müssen, helfen mir dabei, es in Zukunft nicht mehr zu tun - ich kann die nächsten Tage nicht mit Shirts durch die Gegend laufen, die mir nicht bis zum Ellbogen reichen.
 
Was mich am meisten stresst? Nicht das Geshoppe - es tut zwar dem Portemonnaie weh, aber damit hat es sich auch. Auch nicht das Frustessen - mit Sport und Disziplin kommt dann auch das Wohlgefühl. Mich selbst stört wirklich diese Selbstverletzung. Vor allem, dass ich vor der Therapie schon etliche Monate hinter mich bringen konnte, bevor ein Rückfall kam. Seit letztem Jahr passiert es mir immer wieder und ich selbst verstehe es einfach nicht. Ich glaube, es liegt daran, dass ich keine grosse Narben davontrage. Ich weiss, dass es nach ein paar Wochen verschwindet und man wirklich sehr genau hinschauen muss, um etwas erkennen zu können. Zudem ist es im Innern des Oberarmes und da fällt nicht oft der Blick hin. Da keine Narben übrig bleiben, ist die Hemmschwelle natürlich umso kleiner. Und woran es noch liegen könnte? Hm... ich sehe es als Bestrafung. Bestrafung in dem Sinne, dass ich etwas Falsches gemacht habe und der Schmerz diese Berechtigung bestätigt. Bestrafung in dem Sinn, dass ich nicht mit kurzen Shirts herumlaufen darf, wenn ich nicht blöd angemacht bzw. darauf angesprochen werden möchte. Bestrafung darin, weil ich nun mal nicht richtig so bin, wie ich eben bin. Und sobald man SVV für gerechtfertigt haltet, wird es einfach wirklich schwierig, davon loszukommen.
 
Und ja, es belastet mich, dass es mich so runterzieht in letzter Zeit. Denn es ging mir davor ja auch nicht wirklich prächtig, aber es ging irgendwie. Und seit einer Woche gerät alles ausser Kontrolle. Und das ist Horror für eine Perfektionistin wie mich. Und da haben wir eine Berechtigung mehr für das Ritzen. Ich verliere meine Kontrolle, bin also ein schlechter Mensch, also erst recht nichts wert.
 
Wie ich damit umgehe? Letzte Woche habe ich mich dementsprechend im Job gehen lassen. Ich will hier kein falsches Bild vermitteln, aber bis jetzt hatte ich mich doch immer ein wenig geschminkt und auch eher Wert auf ein gutes Erscheinungsbild gelegt. Letzte Woche erschien ich fast ungeschminkt im Büro und joa, war auch eher in Jeans, einfachen Shirt und weiten Jäcklein unterwegs. Natürlich keine Schande, aber ungewohnt für mich. Und dadurch, dass ich eher ruhig und in mich gekehrt war, fiel es natürlich auch einzelnen auf.
 
Einerseits fand ich es schön, andererseits war ich sehr an der Grenze à la "es fragt niemand nach, also interessiert es niemanden!" Bis ich bemerkte, dass die Menschen meinten "eben, ich dachte, da stimmt doch etwas nicht!", sobald ich von mir aus kam und meinte, es sei gerade eine etwas eher strengere Zeit für mich. Vielleicht haben sie sich einfach nicht getraut, mich darauf anzusprechen, warum ich so bin, wie ich im Moment eben bin.
 
Und der Mitarbeiter, mit dem ich mich gut verstehe und mir einen Schlagabtausch nach dem anderen leiste, meinte am Freitag zu mir: "Zambrottagirlie, du siehst müde aus!" Ich musste - trotz grossem Versuch an Ernstmiene - lachen und meinte: "Dabei bin ich die letzten zwei Nächte früh ins Bett... ausnahmsweise schon vor zehn Uhr!" Er: "Dann geh wieder später ins Bett... siehst dann nämlich fitter aus!"
 
Und joa, in der Zwischenzeit glaube ich ihn ganz gut zu kennen. Es war seine Art zu sagen: Fräulein, ich sehe, dass es in letzter Zeit eher schwierig ist bzw. du nicht so bist, wie ich dich eigentlich kenne. Und auch wenn es nicht so ist, ich interpretier es so und es tut verdammt gut.
 
Und ich merke auch, wie man versucht, mich aufzufangen, auch, wenn man nicht direkt auf mich zukommt und fragt, was los ist. Ein Mitarbeiter hat mir heute einfach so über die Schulter gestrichen und joa, es war eher mit Ekel verbunden (weil da eben meine Wunden in der Nähe sind...), aber es hat mir gezeigt: "Zambrottagirlie, das wird wieder!". Und auch sonst war der oben genannte Mitarbeiter heute darum besorgt, dass ich mich wieder in der Kaffeepause integrierte und mitlachte und -witzelte. Und wenn es einem so beschissen geht, darf man eigentlich nicht lachen. Dann darf es jemandem nicht gut gehen. Vor allem ich verbiete es mir selbst.
 
Aber ich konnte plötzlich nicht mehr und schwupps, drang ein wenig von der eigentlichen zambrottagirlie durch und joa, es tat wirklich gut.
 
Klar, es stört schon, wenn es einer anderen Mitarbeiterin schlecht geht und überall hört man: "Der Anita geht es im Moment nicht gut. Sie sieht schlecht aus. Sie hat es gerade sehr streng. Die Arme tut mir leid". Ich frage mich dann immer: nimmt man mich in einer schlechten Situation auch wahr? Spricht man auch über mich? Erkennt man meine Sorgen auch? Und warum bekomme ich es nicht mit? Wahrscheinlich, weil man eben die Privatsphäre dieser Person nicht überschreiten will bzw. auch ich frage eher weniger nach, wenn ich weiss, dass es bei einer Person im Moment eher schwierig ist. Klar, bei Freundinnen ist es etwas anderes und im Geschäft verstehe ich mich mit vielen gut... und doch bestimmt da jeder seine Barrieren anders.
 
Alina hat versucht, mir zu helfen. Und ich weiss es zu schätzen. Aber ich konnte ihr nicht sagen, wie. Wie soll ich es benennen, wenn ich selbst nicht weiss, wo ich stehe? Wenn ich mich selbst darüber aufrege, dass ich überall die Kontrolle verliere? Wenn ich mich selbst nicht fühle? Wenn ich einfach wie ein Roboter funktioniere und mich nur noch nach der Bettdecke sehne? Wenn ich einfach nur hoffe, dass der Verstand irgendwann mal wieder funktioniert?
 
Ich selbst weiss ja nicht, was ich will. Einerseits Nähe und dann doch diese Momente von "Ja nicht anfassen, ich will das nicht!" Der Ekel vor einem selbst ist so gross, dass man gar nicht berührt werden will und gleichzeitig sieht man eine Szene, wo der Mann die Frau einfach nur in den Arm nimmt. Ich denke mir dann sofort: "Das will ich, JETZT!" um dann ein paar Sekunden später zu denken, dass es mich doch total anekelt und ich ja nicht berührt werden will. Dieses JETZT muss in diesem Moment sein. So, wie ich auch denke, dass ich JETZT über etwas reden möchte und es später einfach nicht mehr stimmt.
 
Ich weiss, es klingt kompliziert und anstrengend und es passiert ein paar Mal am Tag. Und ich weiss aber auch, dass ich in der Ausnahme so bin und doch denke, dass ich dies keiner weiteren Person zutrauen möchte. Ich ziehe mich von allen zurück, fühle mich darin bestätigt, ein schlechter Mensch zu sein und der Selbsthass und Ekel vor mir selbst (als Person und Charakter (Inneres wie Äusseres)) steigt natürlich kontinuierlich.
 
Ich weiss selbst nicht, was ich will. Fühle mich dadurch schlechter und hasse diese Diagnose Borderline umso mehr. Hasse mich, meine Person und meine Art. Möchte mich niemandem mehr "antun" und die Menschen in "Ruhe" lassen. Niemanden belasten und daher der totale Rückzug. Hadere mit mir selbst und dem Leben. Und vor allem ekle ich mich vor mir selbst und denke mir einfach, dass es kein Wunder ist, will mich kein Mann an seiner Seite. Und ich möchte mich auch niemandem "antun".
 
Ich weiss nicht, wie ich es besser beschreiben soll. Und da sind wir beim Thema: der gewisse Mitarbeiter. Ich weiss nicht, was er alles von letzter Woche mitbekommen hat und ob es ihn überhaupt interessiert. Wir hatten kaum ein Gespräch letzte Woche und als wir mal alleine im Kopierraum waren, schnappte ich mir lediglich meine Sachen und verliess den Raum. Ich weiss nicht, ob ihm etwa aufgefallen ist. Und klar, natürlich stört es mich bei ihm eher etwas mehr, aber ich bin da im Moment echt mit anderen Gedanken und Problemen unterwegs. Ich bin so von mir selbst genervt, dass ich es mit ihm ganz gut "handeln" kann. Am Freitag zwar hatte ich das Gefühl, dass er sein Knie ein paar Mal gegen meines gestemmt hatte - ob bewusst oder nicht, ist mir irgendwie egal.
 
Und auch heute hat er sich links von mir auf die Bank gesetzt und auch da hat er mit seinem Knie "herumgeschwenkt" und dabei meines ein paar Mal gestreift. Ich hatte eine sehr dünne Hose an und fragte mich trotzdem, ob es bewusst war oder ob es ihm nicht aufgefallen ist, wobei es so gewesen sein muss, weil ich eben so eine dünne Frühlingsjeans trug. Es hat mich nicht gestört, nein. Und ich weiss nicht, ob er einfach zappelig war oder ob es eine Art "Kontaktaufnahme (hei, ich bin da, Kopf hoch und sei wieder die Alte!)" oder so etwas war. Auf der anderen Seite war es mir eher unangenehm, weil ich ja diese Wunden unter meinen Pullovern bemerke und einfach immer daran erinnert werde, was ich eigentlich für ein krankes Bild mit mir herumtrage bzw. wie ich selbst zu mir bin. Ich habe mich kaum bewegt, er hat dann plötzlich die Position gewechselt und das einte Bein unter das andere geklemmt, sich dem Tisch (und mir) zugewandt und ich glaube, seinen Ellbogen hinter meinem Rücken abgestützt, um dann seinen Kopf darauf stellen zu können. Aber so genau weiss ich es nicht mehr. Ich hätte auch mit ihm die Treppen hochlaufen können, aber ich blieb bei den Frauen (und hatte den Eindruck, er hätte es auch so gedacht, dass ich wahrscheinlich mit den Frauen hochtappeln möchte) und es war mir irgendwie recht. Ich hätte nicht gewusst, wie mit ihm umgehen. Alleine mit ihm die Treppen hoch. Keine Ahnung. Habe so schon wieder genug zu grübeln, wobei ich einfach alles aus meinem Gehirn herausstreichen möchte. Ich mache keinen ersten Schritt mehr. Es liegt nun am Mann.
 
Wobei ich jetzt schon ganz genau weiss, dass ich mitmachen werde, wenn ein kleiner Anhaltspunkt besteht. Weil ich eben so bin. Und weil ich mir denke: scheiss drauf, wenn ich mich melden möchte, melde ich mich! Ich möchte nämlich nicht immer mit dem Gedanken an die Sache ran: "Darf ich mich wieder melden oder lieber doch nicht?". Es hemmt, sperrt mich ein und verunsichert mich nur noch mehr.
 
Vor allem hinterlässt es einen schalen Geschmack in dieser Sache zwischen uns. Und ich möchte es ja gut haben mit diesem gewissen Mitarbeiter. Wenn er schon nicht weiss, was er will, möchte ich immerhin das geniessen können, was da ist. Was es schlussendlich auch immer ist.
 
Und doch... heute auf der Bank (als er sich plötzlich ein wenig zu uns abgedreht hatte), dachte ich mir: warum setzt du dich auch neben mich, um dann wieder Abstand zu nehmen? Und natürlich habe ich überlegt, ob er überhaupt diese Nähe möchte oder ob es doch an meiner Körperfülle liegt und er gar nicht anders kann, weil ich eben so fett bin. Aber dann muss ich mich wieder bremsen. Ich zwinge niemanden dazu, sich neben mich zu setzten. Und wenn er es tut, kann er selbst seinen Abstand bestimmen. Und wenn er mit dem Knie herumwackelt und nicht merkt, dass er mich berührt, ist es sein Problem. Und wenn er mich nicht berühren möchte, soll er nicht wackeln. Und er hat sich der Gruppe zugewandt, was auch eher auf Sympathie schliessen lässt.
 
Und nun habe ich fertig überlegt, weil ich wieder da gelandet bin, wo ich nicht hin wollte: Verloren in Grübeleien. Ich wollte mich einfach kurz melden, ein paar Dinge erläutern und sagen, dass ich hoffe, das mein Verstand nächstens wieder einsetzt. Ich kann nämlich selbst nicht mehr, bin es satt und mir hängt es zum Hals raus. Das FastFood, das Shoppen und die Selbstverletzungen (sprichwörtlich aus dem Hals...).
 
Immerhin gibt es keine Vorwürfe von der Familie. Sie lassen mich im Zimmer und doch ist Mutti gekommen und meint, ich könne zu ihr, wenn ich etwas auf dem Herzen habe. Aber wer mich kennt, weiss, dass ich es nicht mache.
 
Weil ich nicht darüber reden kann. Weil ich mich vor mir selbst ekle. Weil ich es nicht kann und niemanden belasten möchte. Weil ich mich schon genug hasse und das niemandem unfreiwillig antun möchte. Ausser dieser Plattform hier. Ich weiss, man lässt mich in Ruhe und ich weiss, dass ich dann nicht à la "niemand hilft mir!" kommen darf. Und ich bin es mir bewusst, dass Menschen um mich herum sofort an Ort und Stelle wären, wenn ich sie danach bitten würde.
 
Aber eben... ich selbst weiss ja nicht einmal, was ich will. Und schon nur das Beispiel, dass ich mir eine Umarmung sehnlichst herbeiwünsche, um Sekunden später doch eher über diesen Gedanken kotzen zu können, zeigt doch alles...
 
... so, ich wollte eigentlich früh zu Bett.
 
Hamburg kommt, versprochen. Aber ich möchte dann wieder etwas besser drauf sein. Diese Woche möchte ich langsam wieder "Die-Wirkliche-Zambrottagirlie" werden und mich darauf konzentrieren. Immerhin ist mein Hamburg-Poster für das Büro angekommen. Würde es hier gerne veröffentlichen, aber auf den meisten Bildern bin ich mit meiner feuerroten Jacke drauf. Klar, es ist mir unangenehm, es mit ins Büro zu nehmen... aber langsam möchte ich mich auch da einrichten bzw. habe ich schon etliches gemacht und meinen Schreitisch auch "zum Meinen" gemacht... und doch... es sind Bilder von und mit mir... und viele Personen betreten mein Büro...
 
Jetzt ist definitiv Zeit für die Heia! Lesen, Licht aus und weiterkämpfen...
 
Denn wer nicht kämpft, hat schon verloren...
 
PS: ich lesen diesen Eintrag nicht noch einmal durch. Entschuldigt eventuelle Schreibfehler, Wiederholungen oder krasse Ausdrücke.

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