Sonntag, 28. Oktober 2012

wenn zwänge das leben bestimmen

Gestern kam nicht wirklich was im TV. Daher entschied ich  mich für die grosse Reportage über Zwänge bei VOX. Meine Mutter meinte noch: "Meinst du, das ist gut für dich, wenn du dir das anguckst?"
 
Ich konnte lediglich müde lächeln. Wenn ich alles vermeiden würde zu schauen, was mich irgendwie beschäftigt oder im Leben begleitet, würde ich ja gar nichts mehr lesen oder im Fernsehen verfolgen. So fiel meine Antwort auch eher trocken aus: "Es tut vielleicht gerade gut, wenn mir bewusst wird, dass ich nicht die einzige mit einem Knacks im Kopf bin."
 
Es ist nicht böse gemeint und ich bin die Letzte, die irgendwelche Menschen verurteilt. Ich kann nachempfinden, wie man sich gefangen fühlt, wie man jeden Tag von neuem kämpfen muss, vieles akzeptieren sollte und gleichzeitig noch einen Alltag zu bewältigen hat.
 
Ich funktioniere im Alltag meistens. Nur akzeptiere ich meine Diagnose nicht. Oft fühlen sich solche Menschen falsch und sind sich bewusst, dass sie gerade komisch handeln. Man ist bei vollem Verstand, bemerkt es selber, kann aber nichts dagegen tun. Und fühlt sich dementsprechend schlecht. Ich kann ja ein Lied davon singen.
 
Solche Dokumentationen sind dann gefährlich, wenn man sich nicht davon distanzieren kann. Und es gab gestern schon ein, zwei Dinge, welche mich stutzig gestimmt haben.
 
Vor allem dieser Waschzwang... Ich wasche mir nicht ständig die Hände, aber ich kann auch pingelig sein, was das betrifft. Wenn ich mein Bett frisch bezogen habe, darf niemand darauf. Bestimmt ein paar Tage nicht. Ich hasse Krümel im Bett und teile ungern meine Kleidung mit jemand anderem. Meine Gabel berührt keinen fremden Teller und ebenso darf keine andere Gabel von meinem Teller etwas "stibitzen", solange ich nicht fertig gegessen habe.
 
Ich nehme das eher unter Ticks, ganz klar. Wie auch, dass man plötzlich unsicher ist, ob man die Tür auch wirklich fest verschlossen hat. Ich laufe dann teilweise auch wieder zurück und muss es nochmals kontrollieren. Jeder Mensch ist da anders. Aber doch gibt es gewisse Gedankengänge, die ich dann verstehen konnte.
 
Eine Frau ekelt sich ebenfalls vor Berührungen von anderen. Bei mir ist es nicht dieser Grundekel, bei mir geht es ja eher darum, dass ich davon ausgehe, dass sich andere Menschen davor ekeln, Zeit mit mir zu verbringen und mich berühren zu müssen; sprich sie ekeln sich davor, wenn ich sie berühre. Ein anderer Patient hasste sich und empfand sich als grundlegend falsch. Kenne ich auch nur zu gut.
 
Und eine Dritte wiederum hatte ständig das Gefühl, sich waschen zu müssen, weil sie dreckig ist, sobald sie leicht geschwitzt hat. Und da haben meine Alarmglocken geläutet. Ich pflege mich regelmässig und mir ist noch nie gesagt worden, dass es andersrum wäre. Aber ich selbst empfinde mich schnell als ungepflegt. Sobald ich schon nur leicht schwitze, möchte ich sofort duschen. Und wie ich durch die Gegend renne, gefällt mir auch nicht.
 
Ich kleide mich meiner Figur entsprechend. Kleide mich modern, schminke mich und eben, pflege mich regelmässig. Aber im Kopf ist ständig der Gedanke, dass es nicht reicht. Schlussfolgerung: ich bin falsch, ich reiche nicht, ich bin "grusig". Ja kein Selbstwert, man darf sich selbst nichts Gutes tun, da man es ja nicht verdient hat.
 
Man kann sich vorstellen, wie froh ich mich dann teilweise doch schätze (und ja, ich zwinge mich dazu, weil sonst geht das nicht lange gut!), sieht man es mir rein äusserlich nicht an. So sehr mich diese Maske teilweise Energie und Kraft kostet, ich kann im Alltag als "normaler" Mensch durch die Welt rennen und eingestuft werden, obwohl es sich innerlich überhaupt nicht so für mich anfühlt. Aber ich bin froh, merkt man mir meine Diagnose auf den ersten Blick nicht an. Kennt man mich länger, ist es vielleicht etwas anderes, ich weiss es nicht. Meine sozialen Kontakte sind ja in letzter Zeit (abgesehen von Pupa und Laura) nicht wirklich gross.
 
Und ehrlich gesagt kackt es mich jetzt schon an, den ersten Schritt auf gewisse Leute zumachen zu müssen. Ich muss nicht, ist mir klar. Aber auf der anderen Seite fühle ich mich auch verletzt, hat man mich in einer schweren Zeit einfach "links liegen" gelassen.
 
Aber ist nicht jetzt Thema.
 
Es hat sich bis jetzt in Sachen "Putz- und Waschzwang" nicht verschlechtert. Aber als Borderlinerin mit Erfahrung bleibe ich doch eher vorsichtig. Ich lege gewisse Verhaltensmuster ab und die wirklichen Dinge, die mich beschäftigen, kommen hoch. Ich habe Angst, dass nebst Selbsthass, Selbstzweifeln und kleines Selbstwertgefühl auch dieser Putzzwang sowie das Gefühl, nicht sauber genug zu sein, anwächst.
 
Was mir die Dokumentation gebracht hat? Toleranz ist immer noch nicht überall selbstverständlich. Und ich bin der Meinung, dass dies nur Menschen können, die wissen, was ein hartes Leben führen zu müssen, bedeutet. Es gibt genug oberflächliche Menschen.
 
In einer TK wird man so genommen, wie man ist. Und das erlebt man leider nicht überall. Ich bin die letzte, die etwas von jemandem verlangen darf. Für mich sind alle Menschen gleich (abgesehen natürlich von den ganz schlechten).



(quelle: google.ch)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen